Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
konnte er sich seltsamerweise nicht mehr erinnern: an das, was der Roboter nun tatsächlich immer und immer wieder gesagt hatte. Bisweilen schien es so, als läge es ihm auf der Zunge, doch im nächsten Moment war es wieder aussichtslos, sich den dröhnenden Spruch des Roboters jemals ins Gedächtnis zurückzurufen.
»Papa liebt uns nicht mehr, Patrick! Papa liebt jetzt andere Mamas und will mit ihnen andere Kinder machen! Papa ist ein Monster!«
In Idas verheultem Gesicht fochten Wut, Verzweiflung und Schmerz einen bitteren Kampf aus. Sie wußte nicht mehr weiter. Das dichte Geflecht aus Gefühlen zu einem Mann, der seit Ewigkeiten das Zentrum ihres Lebens gebildet hatte, dem Wunsch, ein so wundervolles Kind wie Patrick in einer intakten Familie aufwachsen zu sehen, und dem Glauben, daß in solch einem Traumhaus das Glück einfach wohnen mußte , dieses vermeintlich dichte Geflecht, an dem sie lange geflochten hatte, schien sich nun unaufhaltsam aufzudröseln, bis am Ende gar nichts mehr übrigbleiben würde. Sie ertrank in Angst.
»Papa Monschter!« sagte Patrick und lachte weiter.
»Hör zu, Ida«, sagte Ali und wandte sich zum Gehen in Richtung Schlafzimmer, wo er, so Gott gnädig war, in einen Totenschlaf fallen durfte. Am liebsten hätte er sie gebeten, ihn gleich an Ort und Stelle bewußtlos zu schlagen, damit er diesen Zustand schneller erreichte. »Hör zu, Ida, ich möchte, daß wir uns wie zivilisierte Leute verhalten. Deshalb bitte ich dich, unsere Privatangelegenheiten nicht vor Patrick auszutragen. Nicht wahr, Patrick, das willst du doch bestimmt auch nicht?«
»Papa Monschter!« antwortete Patrick wieder und kam zu ihm gelaufen. Er nahm ihm in die Arme und gab ihm einen Kuß. Als Dank spielte er mit seiner Nase.
» Privatangelegenheiten? « Ida lachte bitter. »Du meinst, das ist eine Sache zwischen uns beiden, zwischen dem großen Künstler und seiner Muse, eine Art künstlerische Meinungsverschiedenheit, das glaubst du wirklich, du Wic hser? In welchem beschissenen Wo lkenkuckucksheim wohnst du eigentlich! Wir sind eine Familie, ich bin deine Frau, du bist ein Vater, wir gehören alle zusammen, wir drei sind die Privatangelegenheit! Und du verrätst uns, du machst alles kaputt!«
Da war etwas dran. Doch er war nun einfach zu erledigt, irgendwie auch zu weitsichtig, um Ich-bereue!-Manifeste anzustimmen. Vor seinem geistigen Auge erschien der blondbehaarte Schlitz, den er noch vor ein paar Stunden wie ein tollwütiges Tier bearbeitet hatte. Gleichgültig, was er nun sagte, er würde es doch wieder tun. Das wußte er.
»Wie dem auch sei, ich bin jetzt müde, Ida. Wir können die Sache später diskutieren, wenn ich ein paar Stunden geschlafen habe.«
»Diskutieren! Ein paar Stunden schlafen! Glaubst du, es geht hier um die Auslegung einer blöden Theorie? Erstens habe ich von Diskussionen die Nase voll. Und zweitens wirst du jetzt nicht schlafen. Du wirst jetzt mit deinem Kind, deinem wunderbaren, schlauen Kind einen Spaziergang machen!«
»Warum? Als Strafe?«
»Nein, Ali, nein, ich bin nicht so primitiv wie die Huren, die es mit dir deines Ruhmes und Geldes wegen treiben. Ich bin deine Ida, schon vergessen? Du wirst mit Patrick jetzt einen Spaziergang machen, weil jeder wahre Vater bei so einem Prachtwetter mit seinem Kind einen kleinen Spaziergang macht oder zum Spielplatz geht. Vor allem aber wirst du den Spaziergang machen, weil dein Sohn dich schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen hat. Er hat dich vermißt. So einfach ist das! Entweder du tust es, oder wir beide sind nicht mehr hier, wenn du wieder aufwachst.«
Die sogenannte Schuldfrage ... Wenn ein Kind starb, tauchte immer sogleich die Schuldfrage auf. Wer war schuld? Irgendwer mußte doch schuld sein, irgendwer mußte der Böse sein. Als sei das Leben ein amerikanischer Justizthriller, an dessen Ende die Geschworenen alle Schuld dem bösen Konzern geben und ihn zu hundert Millionen Dollar Schadenersatz verurteilen. Damit ist dann alles erledigt und die Schuld einfach aus der Welt. Wenngleich Ali sich dieser Täuschung bewußt war, sagte er dennoch vor den imaginären Geschworenen in seinem dokumentarischen Traum aus, daß Ida die Hälfte der Schuld an der Katastrophe trug. Sie hatte ihn gezwungen, mit Patrick spazierenzugehen, obwohl sie über seinen Zustand genau Bescheid gewußt hatte. »Sind die Geschworenen zu einem Urteil gekommen?«
Er zog mit seinem Sohn einfach los, über zufällige Straßen, in Richtung der Parkanlage am
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