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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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immer verschwiegen hatte, jahrelang. Vielleicht sollte er es ihr erzählen, nachdem er aufgewacht war, denn daß er jetzt noch träumte, war ihm seltsamerweise durchaus bewußt. Nein, er wollte es doch lieber für sich behalten, er konnte es nicht, es war unmöglich. Er begann wieder zu weinen. Und sogar im Traum spürte er die tausend heißen Tränen, die über sein schlafendes Gesicht rannen, so viele Tränen, die er wohl nur bei seiner Geburt vergossen hatte. Und dabei hörte er fortdauernd das, was er gehört hatte, als das unsagbare Schreckliche geschah:
     
    ERDLINGE, ICH BRINGE EUCH DEN FRIEDEN!

13
     
    A m nächsten Morgen passierten drei Dinge nahezu gleichzeitig. Ali wurde von aggressivem Telefonläuten aus dem Bett getrieben. Aus dem Schlaf gerissen wäre die unpassende Bezeichnung gewesen, denn er spürte, daß es schon neun Uhr vorbei sein mußte. Er hatte also genug geschlafen, um für einen aufreibenden Tag gewappnet zu sein. Der böse Traum geisterte natürlich immer noch vor seinem inneren Auge wie ein Spuk, der sich nicht vertreiben lassen wollte. Aber dann fiel ihm ein, daß er und seine Frau letzte Nacht drei Leute um die Ecke gebracht hatten und daß insofern das Jahre zurückliegende Grauen, verglichen damit, eine untergeordnete Rolle spielen mußte, daß es sich quasi darin auflöste.
    Er fragte sich, ob er sich gestern auch zu einem derart schaurigen Verhalten hätte hinreißen lassen, wenn die gleichen meteorologischen Verhältnisse geherrscht hätten wie heute. Draußen nämlich, so war sein Eindruck, schien der anrückende Frühling eine Generalprobe zu veranstalten. Zu dem ungetrübten Sonnenschein des vorigen Nachmittags hatte sich jetzt auch eine Temperatur gesellt, die nur knapp unter der Frühlingswärme lag. Die düstere Atmosphäre der Mordnacht im Haus war restlos verflogen. Die hohen Räume flirrten im Licht, Fensterscheiben und andere Glasteile warfen wilde Reflexionen an die Wände, und durch die geöffnete Türe des Wintergartens wehte eine laue Brise hinein. Ali wußte nicht, ob ein bißchen Schönwetter etwas so Ungeheuerliches wie das, was er und Ida getan hatten, verhindert hätte. Aber er spürte, wie ihm der vorzeitige Ausbruch des Lenzes in Verbindung mit dem lang vermißten Gefühl »Mein Zuhause!« auf angenehme Weise aufs Gemüt zu schlagen begann. Plötzlich kam ihm die nächtliche Blutorgie nur noch wie eine Greuelgeschichte aus der Zeitung vor, mehr noch, wie ein lächerlicher Horrorfilm, der mit seiner realen Welt nicht das geringste gemein hatte. Es war unglaublich, wie flott er verdrängen konnte und zu den alten Strukturen zurückfand. Er erkannte dies, bereute und schwor sich abermals: Das war das letzte Mal!
    Unterwegs vom provisorischen Schlaflager zum Telefon im Berliner Zimmer, schnappte er sich Hose und Hemd vom Fußboden und begann sich im Gehen anzuziehen. Dabei drangen ihm verheißungsvolle Gerüche in die Nase. Das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee, von Rühreiern mit Speck, ja sogar von aufgebackenen Baguettes schwebte aus der Küche in den Rest des Hauses. Gleich einem Heer von unsichtbaren Dienstmädchen, die den zurückgekehrten Gutsherrn willkommen heißen, schoß es ihm durch den Kopf, und er schmunzelte. So wie es schien, plagte sich Ida, die praktische Ida, im Gegensatz zu ihm nicht mit Reflexionen über Schuld und Sühne herum und war gleich zur Tagesordnung übergegangen. Nicht einmal das Telefongeklingel schien sie aus der Ruhe zu bringen. Und was sollte er sagen, diese aromatischen Leckereien in seiner sonnendurchfluteten Edelküche zu verzehren reizte ihn jetzt auch mehr als eine finstere Meditation über diejenigen, die am Ende des Gartens unter der Erde langsam verwesten.
    Der Heißhunger auf das Frühstück wurde in ihm während der kurzen Strecke so übermächtig, daß er schon den Anrufer innerlich verfluchte. Dabei ging ihm plötzlich auf, weshalb der junge Ali gestern n acht keinen Notruf abgeschickt hatte. Er konnte sich nun erinnern, daß die Leitung erst einen Tag nach dem Einzug von der Telefongesellschaft freigeschaltet worden war. Das Ding war gestern tot gewesen.
    Das schnurlose Gerät stand auf dem kleinen, runden Mosaiktisch, den sie von der alten Wohnung mitgebracht hatten. Später sollten sich im Haus fünf Telefonstationen befinden, wie es sich für einen so noblen Haushalt gehörte. Ali kam mit halb hochgezogener Hose und nur einem Arm im Hemd an den Tisch, hob ab und meldete sich mit seinem Namen.
    »Hey, du

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