Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Gefühl, als habe er durch eine unvorsichtige Bewegung die Atombombe gezündet, da mischten sich in die überwältigende Scham auch ganz allmählich nüchterne Überlegungen. Er fragte sich, ob Gaston seine Karriere wirklich torpedieren würde und wie er das wohl anzustellen gedachte. Sein langjähriger Förderer und Mäzen besaß in der Tat Eigenschaften, die einem Angst einflößen konnten. Er war trotz seines geschäftlichen Glückstreffers namens Seichtem ein verbitterter, vor allem aber undurchsichtiger Kauz geblieben. Florences enttäuschende Entwicklung hatte den Prozeß seiner innerlichen Versteinerung noch beschleunigt. Seine harten Worte ihm gegenüber waren eigentlich weniger die Folge des Entsetzens darüber gewesen, daß er seine minderjährige Tochter im Bett mit einem erwachsenen Mann erwischt hatte, als vielmehr der Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen.
Ali versuchte sich zu beruhigen. »Die Zeit heilt alle Wunden« und ähnliche tröstliche Sprüche schwirrten ihm durch den Kopf. So wie er selbst allmählich Klarheit in seine Gedanken brachte, so würde auch der zornige Gaston nach und nach wieder zur Vernunft kommen, und sie würden wieder Frieden schließen. Objektiv gesehen blieb Gaston auch keine Alternative. Er verdiente nicht schlecht an ihm, praktisch hatte er das Monopol auf seine Werke. Und wenn Ali nach einer gebührenden Schamfrist mit einer steinerweichenden Entschuldigung an ihn herantreten, die gemeinsame gute alte Zeit heraufbeschwören und dabei von Weinkrämpfen der Reue geschüttelt sein würde, dürfte dem versteinerten Zausel auch nichts anderes übrigbleiben, als ihm zu verzeihen. Und Florence? Dieses Abenteuer gehörte endgültig der Vergangenheit an! Offen gesagt, hatte sie ihn in letzter Zeit langsam zu langweilen begonnen.
Alfred Seichtem ging an diesem Tag als unglücklicher Mann nach Hause. Aber auch als einer, der Hoffnung auf bessere Zeiten hegte. Der wolkenverhangene Himmel würde sich irgendwann aufklären, und die Sonne würde wieder herauskommen und ihn mit dem grellen Licht des Glücks bestrahlen, wie er es schon seit Jahren gewohnt war.
Doch die Sonne kam nicht mehr zum Vorschein. Sie verschwand für immer aus seinem Leben. Gaston Beauville reagierte auf seine Entschuldigungen nicht. Wenn Ali anrief, legte er auf, wenn er ihm tiefsinnige Briefe über Schuld und Sühne sandte, erhielt er keine Antwort, und wenn er ihn in der Galerie aufsuchte, war er nicht da. Die Gemälde, die er zu ihm bringen ließ, wurden ihm postwendend zurückgeschickt. Immer öfter wollten sich auch weder Zwischenhändler noch Käufer für seine Kunst finden. Museen sagten Ausstellungen ab, Bildbandverleger stornierten fest eingeplante Buchprojekte mit fadenscheinigen Ausreden, und Einladungen aus dem Ausland blieben aus. Ali ahnte, daß diese Intrige von Gaston gesponnen wurde. Er wußte nur nicht, wie er das machte. Bis er es zunächst in einem Kunstmagazin und dann in fast jeder Zeitung lesen konnte.
Man bezeichnete ihn mit einem Mal als einen Kopisten, als einen Meister des Ideen- und Stilklaus. Ihm wurde vorgeworfen, den österreichischen Maler und Graphiker Gottfried Helnwein zu imitieren, der mit ähnlichen morbiden Motiven, ja sogar mit Gemälden von Toten die Kunstwelt schockierte. Seichtem sei lediglich ein guter Handwerker, in der technischen Ausführung vielleicht sogar gewandter als Helnwein, so die einhellige Meinung. Er habe jedoch weder eigene originelle Einfälle noch seien ihm Sinn und Anspruch der Malerei bewußt. Der Todesstoß für seine Arbeit - und damit seine Existenz - kam in der Regel im Schlußteil eines jeden Artikels. Der jeweilige Verfasser bemitleidete in einem halb sarkastischen, halb schadenfrohen Tonfall die Sammler und Institutionen, di e in der kurzzeitigen Seichtem- Euphorie so viele Werke von ihm angehäuft hatten. Was konkret hieß: Finger weg von diesen Bildern, der Kerl ist gestorben! Am Anfang hatte Ali sich zu wehren versucht, hatte namhafte Anwaltskanzleien gegen derlei ruf- und geschäftsschädigende Publikationen aufgefahren und persönlich bei seinen potentiellen Abnehmern vorgesprochen. Doch die Meute der Kunsthändler und ihrer Kumpane von der Presse, die Gaston nach Lust und Laune mit manipulativen Informationen füttern konnte, war am Ende stärker gewesen. Und als zu allem Überfluß plötzlich auch noch eine Steuernachzahlung von zwei Millionen Mark ins Haus geflattert kam, da hatte Ali sich um Wichtigeres zu kümmern gehabt,
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