Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
ob Ida etwas ahnte, und wenn ja, war es ihm bei seiner zunehmend desolaten Lebenslage auch gleichgültig. Florence und er vermieden es, bei ihren stets wie Akkordarbeit in Sachen Lust ablaufenden Treffen über die Zeit vor ihrer ersten Vereinigung zu sprechen, die Zeit, als er noch der lustige Onkel Ali war und sie die kleine Prinzessin. Sie taten einfach so, als hätten zwei völlig Fremde zueinander gefunden. Das war klug, denn schließlich hätte es in beider Psyche leicht zu einem Knacks kommen können, wenn sie sich plötzlich vergegenwärtigt hätten, was der lustige Onkel und die kleine Prinzessin in dem viel zu kleinen Kinderbett gerade taten.
Als Gaston die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, wohl deshalb, weil er dort Geräusche gehört hatte, befanden sie sich nicht einmal in einer allzu verfänglichen Situation. Sie waren nur splitternackt. Der Hausherr war einem Streik des Flughafenpersonals zum Opfer gefallen und konnte seine Maschine nach New York nicht nehmen. Nach fünfstündiger Warterei in der Lounge war er wieder nach Hause zurückgekehrt - um das vorzufinden! Ali lehnte am offenen Fenster und rauchte eine Zigarette, Florence saß auf dem Bett und entfernte die Spuren ihres letzten Liebesakts mit Kleenextüchern vom Unterleib. Als die Tür aufgeschlossen wurde, drehten sich beide erschrocken um. Gastons konsternierter Gesichtsausdruck verriet, daß er im ersten Augenblick glaubte, einem höchst bizarren Traum beizuwohnen. Doch ganz allmählich verwandelte sich dieser Ausdruck. Glühender Zorn bildete sich in den Zügen des kaktusbärtigen Alten ab, dann Ohnmacht und schließlich nur noch Enttäuschung.
Ali sprang schnell in seine Hose und legte, weil ihm wirklich nichts Gescheiteres einfiel, ein dämliches Grinsen auf. Florence starrte mit offenem Mund und den Tüchern auf ihrem Schoß zu ihrem Vater auf.
»Gaston, lieber Gaston«, flötete Ali und gab sich betont leger, was aber leider so echt wirkte wie eine Zeile aus einem Schlager. Das coole Gehabe sollte dem Geschockten zeigen, daß derlei Vorkommnisse zum Leben eines Künstlers nun einmal dazugehörten. Bloß, daß daran weder Gaston noch er selbst glaubten. »Bevor du mir oder Florence den Kopf abhackst, sollten wir uns beide vielleicht hinsetzen, und dann erkläre ich dir bei einem Glas Rotwein ganz in Ruhe, wie es zu dem Ausrutscher kommen konnte, der übrigens viel harmloser ist, als es auf den ersten … «
»Ich werde dich nicht anzeigen, Alfred Seichtem«, unterbrach ihn Gaston. Er stand immer noch neben seinen Koffern an der Türschwelle wie ein trauriger Vertreter. Aber in der Zwischenzeit war die Enttäuschung in seinem Blick höchster Konzentration gewichen, geradeso, als sinniere er über die Lösung eines besonders diffizilen Problems.
»Ich werde dich deshalb nicht anzeigen, weil es vermutlich nichts nützen würde. Mademoiselle wollte es bestimmt so haben. Es ist nicht die Pubertät, da mache ich mir nichts vor, sie ist wie ihre Mutter! Mea culpa. Was mich aber wirklich traurig macht, Monsieur Alfred Seichtem, ist, daß du auch nicht anders bist als ich. Doch selbst das wäre zu verkraften, denn ich bin an Enttäuschungen gewöhnt. Nein, das wirklich Schlimme an der Sache ist, daß du immer so getan hast, als wärst du etwas Besseres. Du bist allen gegenüber als der reine Künstler im Gegensatz zum Rest der dekadenten Meute aufgetreten, als einer, der über den Dingen steht, als ein Freund, der den Freund nicht hintergeht, als ein Lichtblick, sagt man das so? Du hast dich immer anders gegeben, mo n ami . Ich jedenfalls wäre nie drauf gekommen, daß du heimlich die kleinen Töchter deiner Freunde fickst, und ich kann mir wirklich jede Menge Scheiße vorstellen. Ich werde dich nicht anzeigen, o nein, Alfred Seichtem, ich werde etwas tun, das dich, solange du lebst, an mich erinnern wird. Schau dich in deinem Traumhaus noch einmal gut um, betrachte dein schickes Auto und die obszön hohe Summe auf deinem Konto. Bald nämlich wird es nichts mehr zu sehen geben. Ach, noch etwas, mon ami : Komm mir nie wieder unter die Augen. Denn sonst werde ich dich umbringen!«
Ali wußte nicht mehr so genau, wie er es geschafft hatte, aus der Galerie B. herauszukommen. Dafür wußte er nur allzugut, was draußen auf der Straße in ihm vorgegangen war: Selbstverständlich schämte er sich so, daß er sich am liebsten eigenhändig im allertiefsten Gewölbe der Welt eingemauert hätte. Doch wie er so ziellos durch die Straße lief, mit dem
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