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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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atmosphärischen Vielfalt bei.
    Nach zirka einer halben Stunde blieb Gaston mitten in Seichtems frischem Œuvre stehen, schnaufte, als habe er mit Hanteln trainiert, und schüttelte den Kopf.
    »Das ist kein gutes Material, das ist ganz und gar kein gutes Material«, sagte er dann so selbstvergessen, als spreche er zu sich selbst.
    Der Künstler spürte, wie sich ein Riß in seiner Herzwand auftat. Er hatte von vornherein geahnt, daß sein bißchen Talent schon vor Jahren einen tödlichen Infarkt erlitten hatte. All die Mühe war umsonst gewesen.
    Gaston jedoch riß mit einem Mal den Kopf hoch, öffnete sein Nikotingebiß und schickte einen brüllenden Lacher zur Decke. Danach winkelte er das kurze Bein hoch und schlug sich klatschend auf den Schenkel.
    »Nein, das ist kein gutes Material, mon ami «, rief er dem Verdutzten zu, der wie das Opfer eines Erschießungskommandos bleich an eine Wand gelehnt stand.
    »Das ist geniales Material!« fuhr Gaston fort. »Das ist Material von höchster künstlerischer Qualität! Und obendrein kommerziell! Das ist ein Traum von einem Material. Ali, diesmal hast du dich selbst übertroffen!«
    Der Riß in Seichtems Herz schloß sich wieder, und in seinem Gesicht wollte sich gerade ein Ausdruck der Freude breitmachen, da hatte Gaston die Lobhudelei schon wieder hinter sich gelassen, humpelte wie ein Getriebener zwischen den Bildern hindurch und kratzte sich heftig am Kopf.
    »Mal überlegen, wie wir am meisten Kapital daraus schlagen können«, sagte er, und wieder klang es, als spreche er zu sich selbst. »Es handelt sich um eine Serie. Und jeder Sammler von Rang wird scharf sein auf eine Serie von Seichtem. Aber genau deshalb werden wir sie am Anfang nicht als solche ankündigen. Erst wenn wir ein paar Exemplare an diesen und jenen veräußert haben, werden wir die Bombe platzen lassen. Ali, ich prophezeie dir, sie werden sich in ihrem Vollständigkeitswahn gegenseitig zerfleischen. Wir können dadurch die Preise verdreifachen, ach was, verfünffachen!«
    Ali grinste. Langsam fand er zu seiner gelösten Stimmung zurück.
    »Laß gut sein, Gaston, ich habe dich zu einer Feier eingeladen und nicht zu einer Geschäftsbesprechung.«
    Er ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Nun ja, wer auf einem solchen Schatz hockt, hat wohl allen Grund zum Feiern. Etwas würde mich trotzdem interessieren, mein Freund: Mir kommt der Mann auf den Bildern irgendwie bekannt vor, obwohl du dir ganz offensichtlich viel Mühe gegeben hast, seine Identität zu verschleiern. Kenne ich das Modell?«
    Ali fühlte eine leichte Trübung in seiner gerade aufgekommenen beschwingten Stimmung. Gastons Frage war für ihn ein Stich, der in ihm eine längst verheilt geglaubte Wunde wieder aufriß.
    »Du meinst, die Gestalt ähnelt mir?«
    »Nein, sie sieht dir kein bißchen ähnlich. Wie kommst du darauf? Sie erinnert mich nur von ihrer Statur und Haltung, ja, von ihrer ganzen angedeuteten Erscheinung her an jemanden, den ich zu kennen glaube.«
    Ali hielt es für angebracht, das Thema zu wechseln. Allein die Vorstellung von der wahren Antwort auf Gastons Frage brachte sein Fundament zum Schwanken. Es war paradox, er kannte den Mann auf den Bildern und kannte ihn doch nicht. Als er ihn gemalt hatte, war er davon ausgegangen, daß er es selber wäre. Schließlich war dieser kuriose Unfall doch ihm zugestoßen, oder etwa nicht? Jedenfalls beinahe. Und trotzdem lauerte in seinem Hinterkopf eine andere Version der Angelegenheit, jene Version, die er während des Malens, tja, sollte er sagen vergessen hatte? Und Gaston war ihm auf die Spur gekommen. Wie damals, als er ihn und Florence erwischt hatte.
    »Vergiß den Mann auf den Bildern, Gaston«, sagte Ali und legte ihm auch noch die andere Hand auf die Schulter. Beide standen nun über den Gemälden ringsum wie Türme, welche durch Brücken miteinander verbunden sind.
    »Ich wollte dir etwas sagen, was ich schon lange loswerden wollte. Ich wünschte, es hätte eine Möglichkeit gegeben, es früher zu tun. Ich wollte mich bei dir entschuldigen.«
    »Wofür?«
    In Gastons erstauntem Gesicht vervielfachten sich die mediterranen Falten.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Ali und wußte tatsächlich nicht, wie er es unter den gegebenen Umständen ausdrücken sollte. »Das Leben führt bisweilen ein Eigenleben, es entgleitet einem wie etwas Glitschiges, obwohl man dachte, man hätte die Kontrolle darüber. Und auch wenn es unser eigenes Leben ist, sind wir oft

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