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Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman

Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman

Titel: Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tonke Dragt
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schaute … irgendwie hinterlistig. »Erzählen Sie doch endlich etwas darüber!«
    Er blickte auf und wurde wieder zum Turmwächter. »Ich habe dir doch schon gesagt«, begann er wichtigtuerisch, »dass es niemanden gibt, der es mit Sicherheit weiß. Einige Leute zweifeln sogar daran, ob sie überhaupt je gebaut worden sind. Aber darüber wird nicht diskutiert. Eine derartige Theorie jagt einem entweder Angst ein oder ist unglaubwürdig. Lass uns also davon ausgehen, dass die beiden Türme hier stehen, dass sie fest und solide sind und infolgedessen betreten und besichtigt werden können. Du kannst ruhig an der Brüstung rütteln – nur nicht zu fest, bitte –, du kannst mit dem Fuß aufstampfen oder gegen eine der Türen bollern. Alles fest und solide! Na ja, es gibt ein paar zerbrochene Scheiben; aber Glas ist eben zerbrechlich, und zwar überall. Komm, lass uns ins Treppenhaus zurückkehren und weiter hinaufsteigen, zur zweiten Etage. Jeder Stock sieht aus wie alle anderen, aber je höher man kommt, desto schöner wird die Aussicht …«
    Während wir hinaufstiegen, sprach er ständig weiter – langatmig und doch nichts sagend; es klang ungefähr so: »Wenn man davon ausgeht, dass dieser Turm hier steht, darf man annehmen, dass er irgendwann einmal gebaut worden ist – dass er irgendeinem Zweck dient oder diente, dass er eine Bestimmung hat, einen gewissen Sinn. Aber welche Bestimmung und welchen Sinn? Darüber existieren viele verschiedene Theorien. Du bist unvoreingenommen; du könntest dir ohne weiteres eine eigene Theorie zurechtlegen, wie du ja vorhin schon versucht hast.«
    Ich sagte jedoch nichts und stellte auch keine Fragen mehr. Ich weiß immer noch nicht recht, was ich von ihm halten soll: Weiß er viel weniger, als er zugibt, oder viel mehr?
    Auch auf der zweiten Etage schaute ich durch das Guckloch in der Stahltüre in den gemauerten Schacht hinein; ebenso auf der dritten, vierten und fünften Etage. Jedes Mal gingen wir die Galerien entlang und stellten fest, dass unten alles immer kleiner wurde. Im Turm selbst blieb jedoch alles gleich.
    Ich warf auch immer wieder mal einen Blick in die leeren Zimmer; neben jeder Tür befindet sich ein Raum, in dem eine Art steinerner Tisch steht, mit einer Aushöhlung darin und einem Wasserhahn darüber. (Aber Wasser gebe es hier nicht, sagte der Turmwächter.) Wenn ich wollte, dürfte ich hineingehen (einige Türen standen offen und viele Fenster waren kaputt), aber erst auf dem Rückweg; denn zuerst sollte ich oben auf der höchsten Etage stehen.
    Ich vergaß, weiter zu zählen; jede Halle und jede Treppe war ein wenig dunkler als die vorherigen und der Schacht hinter den verschlossenen Türen wurde schwarz und fast unsichtbar. Herr Avla stieg immer langsamer. Bong, bong klangen seine Schritte auf den steinernen Treppenstufen; ab und zu blieb er stehen, um nach Luft zu japsen – aber er wollte mich nicht allein weitergehen lassen.
    Und dann waren wir endlich zwölf Etagen hoch. Die Türme des Februar, zwölf Monate in einem Jahr – ob das etwas miteinander zu tun hat?
    Auf der zwölften Galerie wehte ein kalter Wind, aber man hatte einen weiten Blick, endlos weit, über die Dünenkette hinweg auf das Meer.
    Sind die Türme wohl dazu gebaut, um eine solche Aussicht zu haben? Aber weshalb dann all die Zimmer? Vielleicht damit möglichst viele Menschen so weit sehen können?
    Zuerst schaute ich zur See hinüber und da sah ich wieder das Schiff. Es fuhr weg von hier, zurück nach Engelland.
    »Guck mal nach unten«, sagte Herr Avla. »Alles wirkt klein und bedeutungslos. Das winzige Dach dort ist mein Haus und da drüben, auf einem der Dünenpfade, gehen Leute spazieren; sie sehen wie Ameisen aus, wie Strichmännchen. Hoffentlich sind sie nicht auf dem Weg zu uns! Sieh nur, da ist auch der kleine See in den Dünen; da wandern wir bestimmt einmal hin. Es gibt dort Enten, auch wenn man sie jetzt nicht sehen kann. Und in Kürze kommen auch die Schwäne zurück.«
    Aber ich schaute nur dem Schiff nach, das von dannen fuhr; es tat mir Leid, dass ich nicht mitgefahren war – denn plötzlich hörte ich tief in meinem Innern ein Lied singen:
    Zogen einst fünf wilde Schwäne,
    Schwäne leuchtend weiß und schön.
    Sing, sing, was geschah?
    Keiner ward mehr gesehn …
    Keiner ward mehr gesehn … Das Lied machte mich sehr traurig … Nun werde ich auch die Matrosen nie wieder sehen – und sie wissen bestimmt, wie ich richtig heiße. Denn ich heiße nicht Tim; Tim ist

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