Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman
graugelb gestrichen, mit Bäumen und Sträuchern vor den Außenwänden, eines dieser Häuser gehörte zu dem Hund. Ein Törchen, das offen stand, ein Weg durch Beete voller lila und weißer und gelber Kelchblumen, eine grüne Haustür. Der Hund sprang bellend gegen die Tür; sie wurde sofort geöffnet, und da stand der Mann, den ich am 30. Februar in den Dünen getroffen hatte: der große Herr in Braun und Grün, diesmal jedoch ohne Hut. Er streichelte den Hund.
»Brav, Téja, brav«, und dann gab er mir die Hand.
»Willkommen, mein Junge. Komm nur herein!«
Ich ging mit hinein. Er schloss die Tür und hielt noch immer meine Hand fest, während der Hund die andere leckte. Ich dachte einen Augenblick lang: Kann ich noch fliehen?, aber dann wusste ich auch schon, dass ich das gar nicht wollte. Selbst als der Hund fortlief und irgendwohin verschwand, bekam ich keine Angst. Der Mann blickte mich an, als ob er mich kenne und sympathisch fände. Ich dachte: Ach, warum erinnere ich mich nur nicht an Sie?
Er sagte, ich solle meine Jacke ausziehen, und das tat ich auch. Dann bekam ich einen Schrecken: Um ein Haar hätte ich dieses Büchlein in der Tasche stecken lassen! Ich stopfte es schnell in meine Hosentasche; ich hatte aber nicht den Eindruck, dass er das komisch fand.
Er führte mich in ein Zimmer, in dem die Sonne Lichtkringel auf den Boden malte; er bat mich, ich solle mich hinsetzen, und sagte: »Warte einen Moment, ich hole Kaffee.« Ich wusste nicht, was Kaffee war; aber ich wartete. Ich hörte, wie er umherging und mit irgendjemand anderem im Haus sprach.
Vor dem Kamin, in dem noch ein Rest Glut schwelte, saß eine grau gestreifte Katze. Sie starrte mich so lange an, dass ich verlegen wurde. Ich betrachtete den Teppich, auf dem sie saß; noch nie hatte ich einen so hübschen, aber auch so komplizierten Teppich gesehen: Er war voller Figuren in blassrosa Farbe, dazu ein wenig Weiß und Gold auf einem Untergrund von eigenartigem Blau, das ich nicht beschreiben kann.
»Téja meint, man brauche ein halbes Leben oder noch länger, um das Muster dieses Teppichs zu verstehen«, sagte der Mann. Er war wieder ins Zimmer gekommen. Ich fuhr erschreckt zusammen und fragte erstaunt: »Wie bitte? Téja meint? Ich meine, was sagt Téja?«
»Ich spreche von meiner Tochter.«
»Ach so. Heißt sie auch Téja?«
»Ja, meine Tochter heißt auch Téja.«
»Genau wie der Hund?«
»So ist es. Ganz genau wie der Hund.« Er reichte mir eine Tasse Kaffee und setzte sich mir gegenüber. »Und wie heißt du?«
»Ich? Tim.« Doch meine Hand zitterte plötzlich so stark, dass ich etwas Kaffee auf mein Knie schlabberte.
Er tat, als merke er es nicht, und begann, langsam seinen Kaffee zu trinken.
Auch ich trank einen Schluck. Kaffee ist sehr lecker, und ich glaube, ja, ich glaube, dass ich früher auch schon mal welchen getrunken habe. Aber ich habe ihn noch nie so auf der Zunge zergehen lassen wie heute Mittag.
»Ist er süß genug?«, fragte er und sagte dann: »Ich sprach eben von diesem Teppichmuster. Wie kompliziert es ist …«
»Figuren, Vierecke, Kreise und Bänder durcheinander – Spiralen und Ranken und Blumen und Sterne und Vögel«, sagte ich, und ich war froh, dass mir so viele Worte einfielen. »Immer wieder etwas anderes und doch gehört alles irgendwie zusammen.«
»Ja, es steckt ein ganz bestimmtes Muster darin«, sagte er, »aber es ist keineswegs leicht, das herauszufinden.«
»Außerdem sitzt die Katze darauf«, sagte ich.
»Ein Muster«, sagte er, »ein bestimmter Zusammenhang. Wenn man ein einziges Stückchen dieses Musters genau betrachtet, versteht man auch den Rest besser. Vielleicht ist ein Stückchen schon genug …« Er sah mich durchdringend an; ich schlug die Augen nieder und starrte wieder auf den Teppich. In dem Muster befanden sich ebenfalls Augen – ich fand das ein bisschen unheimlich. »Ein kleines Stück reicht«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob du wirklich Tim heißt oder ob du dir den Namen ausgedacht hast. Aber du bist zu Fuß hierher gekommen und du kannst sehen und hören und denken und sprechen; also bist du tatsächlich da. Es ist wirklich nicht nötig, dass du dich an irgendetwas erinnerst.«
Meine Kaffeetasse wäre mir um ein Haar aus der Hand gefallen, aber er nahm sie mir ab, stellte sie hin und sagte: »Du brauchst nicht zu erschrecken. Ich weiß, dass du dein Gedächtnis verloren hast. Aber du existierst ja noch, du sitzt mir gegenüber – also kann es gar nicht so schlimm
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