Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman
Wächtern begegnen? – »Du bist also doch in jenen Weg eingebogen«, sagte er.
»Meinen Sie den verbotenen Weg? Den Gefährlichen Pfad?«
»Es ist der einzige Weg, an dem diese Blumen blühen. Diese hier ist verwelkt …«
»Aber ich will sie mir doch aufheben«, sagte ich.
Ich kann sogar den Grund aufschreiben: weil die Blume seltsam ist und außergewöhnlich; und auch, weil ich nicht vergessen will, wie mir zumute war, als ich sie auf dem Gefährlichen Pfad pflückte. Eine Erinnerung kann gleichzeitig schön und unangenehm sein. Das fällt mir gerade ein und ich werde darüber nachdenken müssen. Aber zuerst schreibe ich auf, was heute noch mehr geschah. Ich muss das tun, obwohl ich keine große Lust mehr dazu habe.
Er hat mir die Blume wiedergegeben, und von Téja bekam ich ein richtiges Buch, damit ich sie darin trocknen kann. Das Buch liegt hier vor mir auf meinem Tisch.
Beim Essen waren wir zu dritt; Téja, seine Tochter, hatte für uns gekocht. Ja natürlich, die Katze bekam auch etwas, aber der Hund war nicht dabei.
Téja ist sehr hübsch. Sie ist etwa in meinem Alter oder ein klein wenig älter, falls ich 14 bin. Außerdem ist sie lieb und ein bisschen geheimnisvoll. Ich fühle mich sehr wohl in ihrer Gesellschaft, schon gleich von Anfang an. Sie ist genauso groß wie ich und ihr Gesicht wird keiner so schnell vergessen: Sie hat braune Augen und drei Sommersprossen auf der Nase; wenn sie lacht, sieht man ihre strahlend weißen Zähne, und sie hat langes, rotbraunes, seidiges Haar. Ihrem Vater gleicht sie nicht. (Nach ihrer Mutter habe ich mich noch nicht erkundigt.)
»Téja und ich finden, dass du hier bleiben solltest«, sagte Herr Davit, »als Tim, unser Neffe aus … ja, aus welchem Land eigentlich?«
»Aus Engelland«, sagte Téja.
»Nein, weiter weg ist besser, aus Atlantis«, sagte ihr Vater.
»Gibt es diese Länder eigentlich?«, fragte ich.
»Natürlich«, sagten sie.
Ich dachte an die Türme. »Vielleicht komme ich ganz aus der Nähe«, sagte ich.
»Du musst aber von weit her kommen«, sagte Téja. »Denn wenn du dich dann einmal komisch benimmst, wird sich niemand darüber wundern.«
»Wirke ich denn so merkwürdig?«, fragte ich ein wenig verärgert.
»Wir wollen dir doch nur helfen«, sagte Herr Davit. »Es erleichtert die Sache, wenn wir so tun, als ob. Wir müssen uns einen Hintergrund für dich ausdenken.«
»Ich habe schon einen Hintergrund«, sagte ich. »Ich bin Herrn Avlas Neffe Tim – aus Atlantis oder Engelland oder wer weiß woher. Ich kann doch nicht zweierlei Neffen gleichzeitig sein! Und Herr Avla hat sich meinen Namen ausgedacht, wenn ich auch nicht richtig so heiße – oder vielleicht doch, denn er weiß mehr, als er gesagt hat.«
Jan Davit bat mich, ich solle ihm von Herrn Avla erzählen. Ich berichtete ein wenig, aber nicht alles.
Und dann fragten sie mich, was ich lieber wolle: zurück zu Herrn Avla oder hier bei ihnen bleiben.
»Ich will nicht mehr zu Herrn Avla, denn er hat mich bestohlen«, sagte ich und ich erzählte ihnen von meinem Tagebuch.
Téja und ihr Vater sind jetzt schon lange im Bett; draußen ist es ganz dunkel und ich habe die Vorhänge zugezogen. Gerade kam Téja, die Hündin, wieder herein; sie hat sich auf meine kalten Füße gelegt und sieht mich mit ihren klugen Augen an.
Jan Davit findet es Unsinn, ein Tagebuch zu führen; ich glaube, er würde sicher böse werden, wenn er wüsste, dass ich nun schon wieder darin schreibe. Übrigens vertraut er dem Turmwächter auch nicht. Er selbst und die beiden Téjas möchten, dass ich hier bleibe; ich brauche nichts anderes zu tun, als glücklich zu werden. Und das scheint mir hier gar nicht so schwierig zu sein.
Heute Nachmittag habe ich mit dem Hund und einem Ball im Garten gespielt. Und heute Abend habe ich zusammen mit dem Mädchen auf dem Teppich gesessen – wir haben uns nicht unterhalten, sondern nur versucht, die eingewebten Schmetterlinge zu zählen. (Oder waren es Vögel? Ich weiß es nicht mehr.) Ja, ich werde hier bleiben und jetzt gehe ich schlafen. Hoffentlich träume ich nicht von den Türmen!
2. März
Ich habe eine neue Hose und einen Pullover bekommen; jetzt sehe ich genauso aus wie alle Leute hier. Eigentlich stimmt das nicht – denn ich finde ganz im Gegenteil, dass die Menschen, die hier vorbeikommen, sehr unterschiedlich aussehen; keine zwei gleichen einander. Aber niemand trägt so langweilige und schmutzige Sachen wie meine von gestern. Trotzdem werfe ich sie nicht
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