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Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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»Wie geht es Jon?«
    »Gut«, versicherte ihr Alter.
    »In drei Jahren hörte ich nur zweimal von ihm. Hat er eine Nachricht für mich?«
    Alter schüttelte den Kopf.
    »Nun, jedenfalls freue ich mich, daß er lebt und es ihm gutgeht.« Clea packte Fläschchen und Verbandzeug wieder zusammen.
    »Was sie mit dem Krieg zu machen versuchen …«
    »Ich will nichts davon hören.« Clea brachte die Sachen ins Bad zurück. »Ich will absolut nichts über diesen verdammten Krieg hören.« Als sie wieder ins Zimmer trat, stand Alter über den Schreibtisch gebeugt und blätterte im Notizbuch neben dem zerknüllten Poster. »Was bedeuten all diese Zahlen?« fragte sie.
    Clea zuckte die Schultern.
    »Sie haben doch die Entdeckung gemacht, wie man Menschen und Gegenstände über die Barriere schicken kann?« Und als Clea nickte, fuhr sie fort: »Und diese Zahlen hängen damit zusammen?«
    »Es sind nur Notizen und Überlegungen.«
    »Können Sie mir erklären, wie die Barriere funktioniert?«
    »Dazu brauchte ich die ganze Nacht, Alter. Und ich fürchte, Sie würden es ohnedies nicht verstehen.«
    »Oh«, murmelte das Mädchen. »Ich habe auch gar nicht die ganze Nacht Zeit, weil ich mir morgen Arbeit suchen muß.«
    »Oh? Dann schlafen Sie doch heute nacht hier. Weshalb waren eigentlich diese Dissis hinter Ihnen her?«
    »Ich war draußen – und sie ebenfalls. Mehr Grund ist da nicht nötig.«
    Clea runzelte die Stirn. »Wo wohnen Sie denn?«
    »Eigentlich nirgends. Im Kessel gab es eine Kneipe, wo ich hoffte, schlafen zu können. Aber sie wurde niedergerissen, während ich weg war. Ich war nämlich eine Weile fort, wissen Sie?«
    »Wo waren Sie denn?«
    »Weg, eben.« Dann lachte sie. »Verraten Sie mir, wie dieses Barrierezeug funktioniert, dann verrate ich Ihnen, wo ich war. Ihr Bruder war auch dort.«
    »Einverstanden. Aber jetzt schlafen wir erst.«
    Alter legte sich aufs Sofa. Clea streckte sich auf ihrem Bett aus. »Täuschte ich mich, oder sind Sie mir gestern abend nachgegangen?«
    »Sie täuschen sich nicht.«
    »Und plötzlich waren Sie verschwunden. Wie machten Sie das?«
    »Haben Sie schon mal von Vivaschaum gehört?«
    »Nein.«
    »Ich zum erstenmal auch erst vor vier Tagen. Und bis heute morgen bekam ich ihn auch nicht zu Gesicht. Es ist ein porendurchlässiger Plastigpigmentspray. Ich bin damit besprüht worden. Wäre ich es nicht, könnten Sie mich im Dämmerlicht überhaupt nicht sehen.«
    »Das müssen Sie mir morgen genauer erklären.« Nach einer Weile fragte Clea. »Und diese Dissis trieben sich ganz einfach herum? Woher kommen sie eigentlich? Was wollen sie denn …«
    »Sind Sie nicht auch eine Art Dissi?« fragte Alter.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ein Dissident«, erwiderte Alter. »Weshalb verkriechen Sie sich sonst hier? Bei manchen Menschen macht sich die Unzufriedenheit mit der Regierung, der Gesellschaft und allem möglichen äußerlich, bei anderen innerlich bemerkbar, nehme ich an.«
     
    Die Morgensonne malte goldene Kringel an die Wand. Das Bad war besetzt. Wasser rauschte in der Wanne. Dann trat Alter heraus. »Guten Morgen.« Sie lächelte.
    »Wohin wollen Sie denn schon so früh?«
    »Zum Zirkus, Arbeit suchen. Haben Sie Lust, mich zu begleiten?«
    Clea runzelte unschlüssig die Brauen.
    »Ach, kommen Sie doch mit. Abwechslung wird Ihnen guttun.«
    Clea stand auf, wusch sich und rollte ihr dichtes schwarzes Haar zum Knoten zusammen, als sie aus dem Bad trat.
    »Flechten Sie es«, rief Alter.
    »Wie bitte?«
    »Warum flechten Sie es nicht? Dazu brauchen Sie die Hälfte der Zeit, und es sieht auch nicht so – so …« Sie beendete den Satz nicht.
    Clea ließ ihr Haar über die Schultern fallen und teilte es in drei Teile.
    Als sie auf die Straße hinaustraten, war ihr Kragen weit offen, und ihr Haar hing in einem dicken Zopf über den Rücken.
    Nur wenige Leute waren so früh schon auf der Straße. Die Sonne verlieh den Türmen einen goldenen Strahlenkranz, spiegelte sich auf dem Messing der Balkone und reflektierte von den Fensterscheiben, während die beiden jungen Frauen zum Höllenkessel schritten.
    In diesem zusammengedrängten Stadtring war ein freier Platz eine Seltenheit. Der Triton-Zirkus (sein Werbespruch war: »Die größte Sensation auf Insel, See oder Kontinent«) hatte sich einen zwischen zwei Häuserblocks gesichert und sein farbiges Reich hier aufgebaut. Ein grün-purpurnes Arenazelt hob sich in den Himmel. An einer Seite des Platzes reihte sich ein Käfig an den anderen.

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