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Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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hielt sich am Stiegengeländer fest. »Sie wissen ja«, fuhr Dr. Wental fort, »wie sehr die Produktion erhöht wurde. Trotzdem bekommt ein Zivilist nicht einmal das Dringendste. Morgen habe ich einen Patienten mit Lupus Erythematodes. Ein Spezialist hat ihn an mich überwiesen. Vor ein paar Jahren machte ich noch meine eigenen Forschungen und bin auf einiges gestoßen.
    Aber wie kann man Lupus Erythematodes ohne adrenocorticotrophische Hormone heilen? Nach dem Humanmedizinkatalog müßte es genug davon geben, eine ganze Armee zu behandeln. Doch kaum versucht man, etwas davon zu erstehen, kommt einer im weißen Kittel daher und sagt, ›tut mir leid, aber Privatärzten kann in diesem Stadium des Krieges nur ein Minimum an Arzneimitteln zugeteilt werden.‹
    Was soll ich meinem Patienten sagen? ›Gehen Sie wieder, ich kann Sie nicht behandeln, weil ich die Medikamente nicht bekomme‹?
    Soll ich das sagen? Und der Bursche hat soviel Geld wie die See Salz. Einer der Tildons, wissen Sie. Ich bin ein ehrlicher Mann, Miß Rahsok, ich möchte nur auch ein paar der besseren Dinge für meine Familie. Das ist wirklich alles.«
    Sie hatten die Wohnungstür des Arztes erreicht, als Wental heftig gegen die Wand prallte. Verlegen drückte er den linken Zeigefinger auf die Lippen, während er den rechten Daumen in das Fingerabdruckschloß steckte.
    Draußen peitschte der Seewind gegen die Häuser und fand seinen Weg durch die engen Straßen. Cleas schwarzes Kleid war bis zum Hals geschlossen, und ihr schwarzes Haar zu einem strengen Knoten gesteckt. Einmal hatte sie es mit einer Silberkette durchflochten und hatte in weißem Kleid mit einem Mann getanzt, dessen Haar kurz und rot war. Und seine Schultern waren breit gewesen, seine Worte ruhig und weise, er hatte eine Uniform getragen, und sein Lachen war wie das Brummen eines Bären gewesen.
    Sie öffnete den hochgeknöpften Kragen und atmete tief die Kühle ein. Nun fiel ihr das Gehen leichter.
    »Hallo, Fräulein.«
    Sie zuckte zusammen, aber es war glücklicherweise nur ein Polizist. »Ist es nicht ein wenig spät für einen Spaziergang? Dissis aus dem Kessel haben erst gestern nacht unweit von hier einen Mann zusammengeschlagen. Es ist besser, Sie gehen wieder nach Hause.«
    »Ja, ich kehre um«, versicherte sie ihm. Der Polizist schritt weiter. Clea blieb noch einen Augenblick stehen und blickte ihm nach. Unter einer Straßenlampe stand ein Mädchen mit weißem, glänzendem Haar. Clea runzelte die Stirn, als das Mädchen seitwärts auswich – und verschwunden war!
    Clea öffnete den Mund. Im selben Moment, da das Mädchen aus dem direkten Licht getreten war, war sie scheinbar wie eine Kerzenflamme erloschen. Clea blinzelte, dann drehte sie sich um und eilte heim. Eine Frau stellte gerade eine Mülltonne vor das Haus.
    »So früh auf, Miß Rahsok?« Die Frau wischte sich die Hände an ihrem karierten Hauskleid ab. »Es ist gesund, früh aufzustehen und einen Spaziergang zu machen. Das ist die richtige Einstellung. In diesem Krieg fällt es schwer, seine Nerven nicht zu verlieren. Ich wollte, wir könnten unseren Jungs Briefe und Pakete schicken und von ihnen erfahren, wie es dort draußen ist. Das würde alles viel leichter machen. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte einen Sohn, auf den ich stolz sein könnte … Aber für eine Frau mit Töchtern ist es nicht einfach. Wenn ich nur an meine Älteste, Renna, denke. Glauben Sie vielleicht, sie sieht ein, wie schwer es ist? Mit all den wirklich geeigneten jungen Männern hinter der Barriere muß ein Mädchen schon darauf achten, wen sie kennenlernt. Ich versuche ständig, sie mit netten Jungs bekanntzumachen, aber sie liest ihre Freunde von der Straße auf. Oh, wenn es ein Mädchen zu etwas bringen will, muß sie schon sehr auf sich achten. Renna läuft seit Jahren mit einem schrecklichen Burschen namens Nonik herum. Vol Nonik. Und wissen Sie, wo seine Eltern leben?« Sie deutete in Richtung des Kessels. »Und er wohnt nicht einmal bei ihnen.«
    »Entschuldigen Sie mich«, bat Clea. »Ich – ich habe dringende Arbeit. Ich muß hinauf. Verzeihung.«
    »Oh, natürlich.« Die Frau trat zur Seite. »Aber wissen Sie, ein Mädchen kann gar nicht vorsichtig genug sein.«
    Clea schloß die Wohnungstür hinter sich und dachte: Seine Arme waren stark, sein Lachen wie das Brummen eines Bären. Und wie er lachte, als wir den beiden Eichhörnchen zusahen, die von gegenüberliegenden Bäumen aufeinander einkeckerten. Das war damals, als er

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