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Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Stützpunkten fünfundvierzig Kilometer vor dieser Front. Aber Illu sagte, daß sie befürchteten, er könnte uns einkreisen und von hinten angreifen.« Er starrte Tel fragend an.
    »Und was verstehst du nicht?«
    »Wie können sie uns von hinten angreifen, wenn sie sich vor einer ganzen Stützpunktkette befinden?«
    »Das ist doch einfach«, begann Tel. Aber dann hielt er inne, denn er erinnerte sich, was Ptorn ihm über die Wahrnehmungsfähigkeiten gesagt hatte. »Wie lang ist denn eine Kette, Lug?«
    »Huh? Ich weiß nicht.«
    »Und wie weit verläuft eine Kette?«
    »Vom ersten bis zum letzten Glied.« Lug zuckte die Schultern. »Aber das verrät nicht, wie lang sie ist.«
    »Das genügt aber. Angenommen, der Feind kommt um das erste oder letzte Glied, dann ist er doch hinter uns, nicht wahr?«
    Lug überlegte kurz. »Ja, daran hatte ich nicht gedacht.« Sie gingen ein Stück weiter. »Das bedeutet also, daß wir uns in Gefahr befinden.«
    »Vermutlich«, erwiderte Tel. Er fühlte sich gleichzeitig ein wenig besorgt und auf väterliche Weise überlegen, weil er Lugs topologisches Problem für ihn gelöst hatte. Vielleicht war das in etwa dasselbe Gefühl, das Ptorn ihm gegenüber empfand. Er dachte über seine eigene Einstellung nach und war erleichtert, daß nichts daran Lugs Gefühle verletzen konnte. »Schon allein indem wir hier sind, befinden wir uns in Gefahr, Lug.«
    »Ja. Wir haben einen Feind jenseits der Barriere«, zitierte Lug. »Nur, daß wir jetzt ebenfalls hinter der Barriere sind.«
    Sie näherten sich einer niedrigen Erhebung.
    »He, das sind ja Felsen«, murmelte Lug und legte seine Hand auf die rauhe Oberfläche, als sie nahe genug waren. »Das erinnert mich an …« Er beendete seinen Satz nicht. Da dachte Tel an seine eigenen Gedanken, als er die Farben hinter dem Nebel gesehen hatte, und so schnell wie beim erstenmal, schob er sie beiseite. Er überkreuzte die Arme auf der Brust, lehnte sich an das Felsgestein und starrte in die Düsternis. »Was, glaubst du, würden wir sehen, wenn wir etwas in dem verdammten Nebel sehen könnten?«
    »Nichts«, brummte Lug.
    »Dunst, Nebel, Dampf – nichts. Lug, wie ist es dort, woher du kommst?«
    »Meinst du …« Tel spürte wie die Worte tief aus Lugs Innerem kamen. »… zu Hause?«
    »Ja. Wie sieht es bei dir daheim aus?«
    »Daheim«, murmelte Lug, »war der Ort, wo ich lebte.« Er blickte Tel an und grinste. »Ja, das war das Beste daran – der Ort, wo ich wirklich lebte.«
    Tel lachte und fragte sich erneut, wie seine eigenen Überlegungen wohl Ptorn vorkommen mußten.
    »Und Mura.« Lugs Stimme wurde leiser. »Und Porm und Kuag. Mit ihnen lebte ich. Porm«, erklärte er. »Porm ist meine Tochter.«
    »Du hast eine Tochter?« Er hoffte, daß Lug seine Überraschung nicht bemerkte. »Wie alt ist sie? Wie alt bist du?«
    »Sie ist vier Sommer alt, und ich neunzehn Winter.«
    Irgendwie erinnerte sich Tel jetzt, daß das Durchschnittsalter der Neoneandertaler fünfundvierzig Jahre betrug. Wenn man wußte, daß sein Leben so kurz war, sah man die Dinge bestimmt alle aus ganz anderer Sicht. Lug hatte also eine Tochter, eine Familie. Respekt für diesen so andersartigen Bruder erwuchs in ihm. »Wie hat denn dein Zuhause ausgesehen?« fragte er.
    »Es war im Wald.«
    »Und sonst?«
    »In einem zerfallenen Steingebäude. ›Ruine‹ nannten sie es. Sie stammte noch von vor dem Großen Feuer. Die riesigen Bäume hatten die meisten der anderen Bauten gesprengt, aber unsere Ruine war noch recht brauchbar. Es gab Treppen, die hoch führten, in die leere Luft. Kinder spielten mit Steinen und Stöcken auf den Stufen, hin und wieder blies der Wind ganz stürmisch, dann gingen wir alle hinein in das Steinhaus und drückten uns in die Ecke. Manchmal sang der Wind auch richtig. Oder wenn das Wasser vom Himmel fiel, sangen wir ihm ein Lied. Wenn es sehr heiß war, tanzten wir für die Sonne.« Er machte ein paar Schritte zurück und hob erst den einen, dann den anderen Fuß und hopste leicht. »So ähnlich, nur eben gemeinsam mit vielen, vielen Leuten, und auch viel, viel schneller, und dazu schlugen die Trommeln und alle schrien. Einmal im Monat tanzten wir auch für den Mond, aber das war dann ein anderer Tanz. Deshalb, weil der Mond und die Sonne voneinander verschieden sind, und nicht wie der Regen und der Wind. Verstehst du?«
    »Ich glaube schon.« Tel nickte.
    »Manchmal flickten wir das Leder über dem Loch in der Sonnenseite. Aber hin und wieder muß man

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