Die Tulpe des Bösen
viele Stunden.«
»Kommen wir auf dem Weg auch hinaus?«
»Ich schon«, sagte Felix, »aber du nicht.«
Katoen verstand. Er verfügte nicht über die Gabe, sich winden zu können wie eine Schlange.
Sollte er Felix auf dem Weg zurückschicken, auf dem er gekommen war? Das widerstrebte ihm, weil dann dem Jungen die Gefahr drohte, von der Wache entdeckt zu werden. Vielleicht gab es einen anderen Weg aus dem Gewölbe, den sie gemeinsam gehen konnten? Immerhin war dies einmal das Warenlager eines Schmugglers gewesen. Van der Zyls geldgieriger Schwiegervater mußte doch eine Möglichkeit gehabt haben, das Schmuggelgut herein-und hinauszuschaffen, ohne daß es vom Damrak und den angrenzenden Gebäuden aus gesehen wurde.
»Laß uns schnell von hier verschwinden«, sagte Katoen und schob den Jungen aus der Zelle. »Aus welcher Richtung bist du gekommen?«
»Von da.« Felix zeigte nach rechts.
»Gut, dann nehmen wir diesen Weg«, entschied Katoen und zeigte nach links. »Aber erst holen wir uns etwas Licht.«
Sie gingen auf eine der Öllampen zu, die an den Stützpfeilern hingen. Neben einem Pfeiler lag etwas Dunkles auf dem Boden. Die Leiche des Bettlers.
»Sieh nicht hin!« sagte Katoen, als er die Ratten bemerkte, die an dem Toten nagten.
Er nahm die Lampe an sich und ging zu dem Pfeiler, an dem er den Stuhl zerschlagen hatte. Die Trümmer waren über den Boden verstreut. Er nahm sich eins der Stuhlbeine; es lag schwer in der Hand. Im Zweikampf nicht die schlechteste Waffe, dachte er und schob den Jungen weiter.
Sie gelangten an eine Abzweigung, aber Katoen entschied sich, seinem Gefühl folgend, dafür, im Hauptgewölbe zu bleiben. Ein paar alte Fässer und Kisten zeugten von dem regen Schmuggel, der hier einmal betrieben worden war.
Als sie um die nächste Biegung kamen, rief eine Stimme: »Laurens, bist du das?«
Das Licht der Öllampe fiel auf den jungen Mann, den Katoen einige Stunden zuvor bei van der Zyl gesehen hatte. War Laurens der andere Mann, der mit dem Bart? Und warum hielt sich der junge Mann, der eine Handlaterne bei sich trug, hier auf?
Er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn der Verschwörer, der ihn im Schein seiner Laterne erkannt hatte, nestelte schon seine kurzläufige Pistole hervor und richtete sie auf ihn.
Katoen schleuderte die Öllampe nach ihm und traf ihn im oberen Brustbereich. Die zweckentfremdete Lampe fiel scheppernd zu Boden, und ihr Licht erlosch.
Der Verschwörer hatte zwei schnelle Schritte nach hinten gemacht, um der Wucht des Wurfgeschosses zu entgehen. Dabei war er gestolpert und hingefallen. Im Liegen wollte er erneut auf Katoen anlegen, aber der war mit ein, zwei Sätzen bei ihm und trat ihm die Pistole aus der Hand. Sie schlitterte ein Stück über den Boden. Zu Katoens Erleichterung löste sich kein Schuß, der weitere Verschwörer hätte alarmieren können.
Der Mann am Boden griff mit beiden Händen nach Katoens linkem Bein, um ihn zu Fall zu bringen. Rasch und heftig ließ Katoen das Stuhlbein auf ihn niederfahren. Ein Schlag genügte, und der Mann blieb, mit einer blutigen Wunde am Kopf, bewußtlos liegen.
Katoen fesselte und knebelte ihn mit seinen eigenen Kleidern. Zum Glück war die Handlaterne des Verschwörers heil geblieben; die nahm er als Ersatz für die kaputte Öllampe an sich. Die Pistole konnte er dagegen nicht mehr gebrauchen: Der Bügel des Radschlosses war abgebrochen. Andere Waffen fand er bei dem Bewußtlosen nicht.
»Dann muß das Stuhlbein reichen«, sagte Katoen und sah Felix an. »Laß uns rasch weitergehen, ehe dieser Laurens oder andere von den Kerlen hier auftauchen.«
Bald wurde der Untergrund naß, und je weiter sie gingen, desto höher stieg das Wasser, bis es schließlich Katoens Knie erreichte. Aber sie sahen Tageslicht vor sich und beschleunigten ihre Schritte. Es schien hier tatsächlich einen Ausgang ins Freie zu geben, den der Mann mit der Pistole wohl bewacht hatte.
Nach ein paar Klaftern erkannte Katoen, daß er sich nicht geirrt hatte. Der Ausgang lag direkt am IJ und weit genug im Wasser, daß wohl niemand auf die Idee kam, hinter der meeresumspülten Höhle ein solches Labyrinth zu vermuten. Er ließ Stuhlbein und Laterne einfach fallen und hob Felix, dem das Wasser schon bis zur Brust stand, hoch. Mit dem Jungen auf dem Arm watete er ins Freie und gelangte zwischen zwei alten Fischerbooten, die hier allmählich verrotteten, an Land.
Er setzte Felix ab und hockte sich selbst auf einen runden Stein,
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