Die Tulpe des Bösen
Unglauben, Mijnheer Katoen. Seid Ihr sicher, daß Ihr daran festhalten wollt?«
Katoen zeigte auf Felix. »Wenn Ihr mir nicht glaubt, fragt den Jungen hier. Ohne seine Hilfe säße ich immer noch in van der Zyls Kerker. Aber wenn mein Wort und das eines elternlosen Jungen für Euch zu gering wiegen, dann fragt doch den Amtsrichter nach dem Kellergewölbe, das sich unter seinem Haus befindet und sich bis zum Ufer des IJ erstreckt. Nach dem Gewölbe, zu dem auch eine Kerkerzelle gehört und in dem vielleicht noch die Leiche eines Bettlers liegt, den van der Zyl und seine Mitverschwörer vergangene Nacht in den Tod getrieben haben.«
»Mitverschwörer?« wiederholte Schuiten. »Von was für einer Verschwörung sprecht Ihr?«
»Sie nennen sich die ›Wohlmeinenden‹, obwohl die böswilligem viel besser auf sie passen würde. Hohe Herren sollen es in der Mehrzahl sein, darunter etliche ›Verehrer der Tulpe‹, vielleicht auch einige aus Eurem Kreis. Das Ziel der Verschwörung ist schnell umrissen: Diese selbsternannten Wohlmeinenden wollen unsere Republik den Franzosen und ihren Verbündeten in die Hände spielen und daraus ihren Vorteil ziehen.«
Bevor durch Katoens Bemerkung über die Verstrickung achtbarer Bürger in die Verschwörung neue Aufregung entstehen konnte, sagte Schuiten rasch: »Mijnheer van der Zyl, nehmt doch Stellung zu diesen Vorwürfen!«
Lächelnd breitete der Amtsrichter die Arme aus. »Ich bin ganz erstaunt über die Phantasie des Amtsinspektors Katoen. Oder sollte ich besser sagen, über seinen Geisteszustand? Ich weiß nicht, was ihm zugestoßen ist, daß er herumläuft wie ein Vagabund, aber offenbar hat es seinen Verstand in Mitleidenschaft gezogen. Ihr alle kennt mich lange, meine Herren, mehr als das, Ihr vertraut mir, und das zu Recht. Könnt Ihr wirklich auch nur eine Sekunde lang glauben, daß an diesen wilden Anschuldigungen etwas Wahres ist?« Während er sprach, verließ er seinen Platz und ging langsam an dem Tisch entlang, bis er vor Blaeu stand. »Unser Freund Joan Blaeu kann bestätigen, daß ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen.«
Der Kartenmacher schaute nicht weniger verblüfft drein als Katoen. Aber schnell wurde aus seiner Verwunderung purer Schrecken, als der Amtsrichter ihn von seinem Stuhl hochriß, ihm die Arme um den Hals schlang und ihn an sich drückte.
»Beenden wir diese Posse«, sagte van der Zyl, jetzt nicht mehr in einschmeichelndem Ton, sondern mit harter, schneidender Stimme. »Ich werde den Saal jetzt verlassen. Wenn irgend jemand mich daran zu hindern sucht, breche ich Blaeu das Genick!«
Rückwärts gehend bewegte van der Zyl sich, seine Geisel im Schlepptau, langsam auf die Tür zu, und die Ratsherren verfolgten das Schauspiel fassungslos. Katoen hätte gern gewußt, was sie mehr verwirrte, daß Blaeu derart bedroht wurde oder die Tatsache, daß van der Zyls Verhalten einem Schuldeingeständnis gleichkam. Und noch lieber hätte er gewußt, bei wem das Entsetzen echt und bei wem nur vorgetäuscht war. Aber das würde er möglicherweise nie erfahren.
Als van der Zyl bei Katoen angelangt war, sagte er: »Ihr habt die falsche Entscheidung getroffen, Jeremias, leider. Nun öffnet mir die Tür – und versucht nicht, mich hereinzulegen!«
Katoen schob Felix zur Seite, damit der nicht in Gefahr geriet, und befolgte den Befehl des Amtsrichters. Er hatte nicht die Absicht, irgend etwas zu tun, das Blaeus Leben gefährden könnte.
»Brav«, sagte van der Zyl, während er sich langsam an Katoen vorbeischob. Kaum war er außerhalb des Saales, versetzte er seiner Geisel einen heftigen Stoß, drehte sich um und lief auf den Ausgang des Rathauses zu.
Katoen konnte Blaeu gerade noch auffangen, so daß er nicht gegen den Türpfosten prallte. Schuiten und ein paar der Ratsherren kamen herbeigeeilt.
»Kümmert Euch um Blaeu und um meinen Jungen«, sagte Katoen zu Schuiten, der es übernahm, den schwer atmenden Kartenmacher zu stützen.
»Ihr könnt Euch auf mich verlassen«, erwiderte der Seilermeister.
Katoen lief dem flüchtenden Amtsrichter nach und sah gerade noch, wie er das Rathaus verließ. Draußen auf dem Dam glaubte Katoen zunächst, der Flüchtende sei ihm im Gewühl der Menschen und Marktstände entwischt, doch dann entdeckte er ihn, wie er sich einen Weg durch die Menge bahnte und in Richtung Damrak lief. Katoen folgte ihm, ohne auch nur zu versuchen, Verstärkung von den Wachen im Rathaus zu erhalten. Er mußte sich sputen, wollte er die
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