Die Tulpe des Bösen
Spur des Amtsrichters nicht doch noch verlieren.
Je länger er lief, desto stärker machten sich die hinter ihm liegenden Anstrengungen bemerkbar. Bei jedem Schritt spürte er schmerzhaftes Seitenstechen, und van der Zyl konnte seinen Vorsprung ständig vergrößern.
Aber Katoen biß die Zähne zusammen und lief weiter. Er fragte sich, was der Amtsrichter ausgerechnet am Damrak wollte. War sein Ziel etwa das eigene Haus, wo er auf Verstärkung durch seine Mitverschwörer hoffte? Aber was konnte er dadurch gewinnen? Wenn die Ratsherren erst die Wachen schickten – und das war nur eine Frage der Zeit –, würden die Verschwörer, die nicht so zahlreich waren, im Kampf unterliegen.
Auf der Höhe seines Hauses wandte van der Zyl sich aber nicht dem Gebäude zu, sondern dem Wasser. Er lief zum Kai und sprang in seine Jolle, die er in Windeseile losmachte und vom Ufer abstieß. Sie glitt hinaus auf den Kanal, und van der Zyl setzte das Segel.
Ich habe das Wettrennen verloren! Das war Katoens erster Gedanke, als er sah, wie der Amtsrichter sich vom Ufer entfernte. War er erst einmal draußen auf dem IJ, konnte er leicht die offene See erreichen und irgendwo unbehelligt wieder an Land gehen, in einer anderen Stadt, wo niemand ihn kannte, oder an einem unbelebten Küstenstrich.
Dann aber erkannte Katoen, daß van der Zyl es nicht leicht haben würde, aus dem Damrak hinauszukommen. An der Mündung war ein auslaufendes Fährschiff gleich mit zwei hereinkommenden Lastkähnen zusammengestoßen, und die drei Schiffe hatten sich unglücklich ineinander verkeilt. Bei dem Versuch, dieses Knäuel zu umfahren, behinderten auch die übrigen Schiffe einander. Van der Zyl lenkte die Jolle zum diesseitigen Ufer, vermutlich weil er eine schmale Lücke im Gewirr der Schiffe entdeckt hatte, durch die er sein kleines Boot manövrieren wollte. Mit seinen seglerischen Fähigkeiten würde er das bewältigen, aber es kostete Zeit.
Zeit, die Katoen nutzte. Er war stehengeblieben, als er die Jolle ablegen sah, und sog, vornübergebeugt und die Hände auf die Knie gestützt, in schnellen, gierigen Zügen frische Luft in seine Lungen. Jetzt sammelte er sämtliche Kräfte und rannte, so schnell er noch konnte, direkt am Kai entlang, wich um Haaresbreite einer schweren Kiste aus, die vom Giebelkran eines Kaufmannshauses herabgelassen wurde, sprang über einen Poller, an dem ein Leichter vertäut war, rempelte einen breitschultrigen Lastträger an, der gerade einen schweren Sack schulterte – und gelangte tatsächlich auf eine Höhe mit van der Zyls Segelboot, das nur sieben oder acht Fuß von ihm entfernt war.
Ein letzter Anlauf, ein Sprung, und Katoen landete in der Jolle, die unter seinem Aufprall heftig zu schwanken begann. Vier, fünf Sekunden lang glaubte er, entweder das Boot würde kentern oder er würde das Gleichgewicht verlieren und über Bord fallen. Aber nichts von beidem geschah. Er hielt sich mit der Rechten fest und sah van der Zyl an, der an der Ruderpinne saß und ihn entgeistert anstarrte.
»Ende des Ausflugs«, keuchte Katoen.
»Das muß nicht sein. Noch ist es nicht zu spät, Jeremias, Ihr könnt Euch noch immer auf die richtige Seite schlagen.«
»Da stehe ich schon.«
»Das ist bedauerlich.«
»Für Euch, van der Zyl. Eure feingesponnene Intrige wird ihre Wirkung nicht entfalten. Jetzt seid Ihr die Spinne, die sich im eigenen Netz verfangen hat!«
»Meint Ihr, Jeremias?«
Während der Amtsrichter noch sprach, ließ er die Ruderpinne los und schnellte nach vorn. Seine Arme umklammerten Katoens Oberschenkel, und das brachte ihn doch aus dem Gleichgewicht. Er stürzte und schlug hart im Boot auf. Van der Zyl warf sich erneut auf ihn und packte mit beiden Händen seinen Hals. Katoen versuchte seinerseits, dem Gegner die Luft abzudrücken.
Das war der Augenblick, in dem die führerlose Jolle die Kaimauer rammte und kenterte. Die beiden Männer, noch immer ineinander verschlungen, wurden ins kalte, brackige Wasser geschleudert. Katoen schluckte Wasser, das er prustend wieder ausstieß.
Dennoch hielt er van der Zyls Hals weiter umklammert und der Amtsrichter den seinen. Katoens Kopf tauchte unter die Wasserlinie und kam wieder hoch. Die Luft wurde ihm knapp, auch über Wasser, und er sah schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen. Aber er hielt den Amtsrichter unbeirrt fest, immer an den alten Bettler denkend, für den es auch keine Gnade gegeben hatte.
Und wie der Bettler seinen Kopf wieder und wieder gegen den Pfeiler
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