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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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füllen konnten. Was der Amtsrichter erzählt hatte, erhöhte den Druck, der auf ihm lastete, und ein Schatten legte sich auf die gelöste Stimmung, in der er sich eben noch befunden hatte.
    »Wenn die Engländer schon so verbohrt sind, können wir uns dann nicht wenigstens mit den Franzosen auf diplomatischem Wege einigen?«
    »Wohl kaum«, seufzte van der Zyl. »Ludwig ist auf uns ebenso schlecht zu sprechen wie König Karl drüben auf der englischen Insel. Er wirft uns vor, ihn vor drei Jahren zum Aachener Frieden mit für Frankreich ungünstigen Bedingungen gedrängt zu haben.«
    »Hört endlich auf, über Politik zu reden«, rief Catrijn, die den kleinen Segler um einen dickbauchigen, vor Volewijk ankernden Frachter herumlenkte. »Dieser warme Maiabend ist zu schön, um ihn mit derart ernsten Fragen zu verbringen.«
    Volewijk war ein noch weitgehend unerschlossenes Stück Land, das dem Nordufer Amsterdams gegenüberlag und, einer riesigen Zunge gleich, ins IJ hineinragte. Viele Vögel hatten hier ihre Nistplätze; daher hatte die ehemalige Sandbank ihren Namen, der so viel hieß wie Vogelquartier. Für die Bürger Amsterdams war dies ein beliebter Ausflugsort.
    Catrijn hielt auf die südwestliche Spitze der Landzunge zu, wo das Galgenfeld lag: eine ummauerte Höhle, über der ein Gerüst aus steinernen Säulen und Eisenstangen aufragte. Die Stangen waren über die drei Säulen gelegt und dort befestigt; Stricke hingen daran. Die meisten Stricke schaukelten leer im sanften Wind, drei aber wurden von einer schweren Last straff gezogen: den Leichen Hingerichteter.
    Hier am Wasser, bei klarer Sicht von Amsterdam aus gut zu sehen, wurden zur Mahnung für alle Gesetzesbrecher die zum Tode Verurteilten nach Vollstreckung der Strafe aufgehängt, bis sie verwest waren und ihre kümmerlichen Überreste sich von den Stricken lösten, um in die Höhle zu fallen. Was stets ein großes Spektakel war. Manchmal, wenn am Sonntag Väter mit ihren Kindern herkamen, warfen vorlaute Jungen mit Steinen nach den Toten, damit sie sich vorzeitig von dem Gerüst lösten. An diesem Tag hingen drei Hingerichtete dort, zwei Männer und eine Frau.
    Catrijn brachte die Jolle so dicht wie möglich ans Galgenfeld heran und wies mit der freien Hand zu dem Gerüst. »Der junge Mann scheint da noch nicht lange zu hängen, er ist noch kaum verwest. Aber warum fehlen ihm die Augen?«
    »Sie wurden ihm mit einem glühenden Eisen ausgestochen, bevor er stranguliert wurde«, erklärte ihr Bruder. »Die gerechte Strafe dafür, daß er seinem Brotherrn, dem Stellmacher Christiaens, im Streit ein Auge ausgestochen hat.«
    »Worüber haben sie sich gestritten?« fragte Catrijn.
    »Über die Hände des Jüngelchens da«, antwortete ihr Bruder und kicherte. »Sie lagen nämlich auf den Brüsten von des Stellmachers Eheweib. Das Gericht hat vor der Urteilsfindung lange darüber debattiert, ob dem Übeltäter vor der Hinrichtung die Hände genommen werden, die Augen oder beides. Wir haben uns am Ende für die Augen entschieden, da der Stellmacher eins verloren hat, sein Weib aber nicht die Brüste. Du siehst, Catrijn, die Rechtsfindung ist manchmal sehr mühselig.«
    »Was hat der andere Mann verbrochen, der schon halb verfault ist und bald vom Galgen fällt?«
    Van der Zyl schirmte die Augen zum Schutz gegen die Sonne mit der flachen Hand ab und sah angestrengt zum Galgenfeld hinüber. »Den kann man ja kaum erkennen, so wenig Haut hängt noch an den Knochen. Wißt Ihr es noch, Jeremias?«
    »Das war ein alter Mann, Buisman oder Bruisman hat er geheißen. Wir hatten ihn schon mehrmals wegen unerlaubten Bettelns festgenommen, aber er tat es immer wieder. Bei seiner letzten Festnahme war er volltrunken und hat mit einem rostigen Eisenstück auf einen von der Nachtwache eingestochen wie mit einem Messer. Der Nachtwächter wird für den Rest seines Lebens eine häßliche Narbe mitten im Gesicht haben.«
    »Ja, ich erinnere mich«, sagte der Amtsrichter. »Wir können nicht dulden, daß jemand die Hüter von Recht und Ordnung derart angreift und damit ihre Autorität untergräbt. Die Todesstrafe war mehr als gerechtfertigt. Wir können nur hoffen, daß der Anblick des alten Knochensacks eine abschreckende Wirkung auf das Bettlerpack hat!«
    Der Blick seiner Schwester war bereits weitergewandert zu der Frauenleiche. Sie war noch frisch. Obwohl die Vögel schon ein gehöriges Stück Fleisch aus ihrem Gesicht gerissen hatten, war zu erkennen, daß sie einmal sehr

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