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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Die Witwe Gerritsen verlangte nicht sonderlich viel Miete, und es war ein sauberes, ruhiges Haus. Wenn überhaupt etwas zu hören war, dann das Auf und Ab der im Erdgeschoß lebenden Vermieterin, wenn sie ihre Hausarbeit verrichtete. Über Katoen wohnte ein junger Maler aus Leiden, der in dem Raum unter dem Treppengiebel sein Atelier eingerichtet hatte und jeden Montag seine Staffelei auf dem Markt aufstellte, um das Treiben dort mit Farbe und Pinsel einzufangen. Ansonsten bekam Katoen nicht viel mit von der Arbeit des jungen Mannes; wenn er heimkehrte, war das zum Malen erforderliche Tageslicht meistens schon erloschen.
    Behutsam schloß er die Haustür auf, und es schlug ihnen der durchdringende Geruch von Scheuerseife entgegen, der in Katoens Vorstellung untrennbar mit diesem Haus verbunden war.
    Auf der knarrenden Treppe bat er Anna, leise zu sein. »Die Witwe Gerritsen wäre wenig erfreut, so spät bei einem ihrer Mieter Damenbesuch zu sehen.«
    Wie zur Untermauerung seiner Worte hörten sie die Glocken der Zuiderkerk zur zwölften Stunde schlagen, als Katoen den Schlüssel ins Schloß seiner Wohnungstür steckte. Mit zwei großen Zimmern und einer zusätzlichen Kammer, die derzeit vollkommen leer stand, war die Wohnung für ihn allein fast schon unanständig groß. Das empfand er um so deutlicher bei der Erinnerung an die beengten Verhältnisse, in denen Anna und Sybrandt Swalmius lebten.
    Als er die Öllampe im Wohnzimmer entzündet hatte, betrachtete Anna die beiden Ölbilder, die er für wenig Geld bei einem Kunsthändler am Damrak erstanden hatte. Eins zeigte vor einem palmenbewachsenen Landstrich einen großen Kauffahrer der Ostindischen Kompanie, umschwärmt von kleinen Booten kaum bekleideter Eingeborener, das andere eine geschäftige Straßenszene in Neu-Amsterdam. Das zweite Bild hatte er von dem Händler als Dreingabe zum ersten bekommen. Seit die nordamerikanische Kolonie Neu-Niederland und ihr Verwaltungssitz Neu-Amsterdam im Jahre 1664 von den Engländern erobert worden waren, standen Bilder, die das Leben der Kolonisten an der amerikanischen Ostküste zeigten, nicht mehr hoch im Kurs.
    »Schlummert in Euch das Fernweh, Mijnheer Katoen?«
    »Ein wenig schon. Das habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Er war Seemann.« Er stellte seinen Stockdegen in eine Ecke. »Ihr könnt Euer Bandelier ruhig ablegen. Hier seid Ihr sicher. Setzt Euch in den Sessel dort, er ist am bequemsten.«
    Zögernd streifte sie das Bandelier über den Kopf, nachdem sie ihren Hut abgenommen hatte. Beides legte sie vor sich auf den Tisch, bevor sie sich in dem Sessel niederließ, den er ihr angeboten hatte. Das Bandelier lag so vor ihr, daß sie jederzeit das Rapier aus der Scheide ziehen konnte, was gewiß kein Zufall war. Allerdings war der Sessel weich, und sie versank fast in ihm. Bis sie sich daraus erhoben hätte und kampfbereit sein würde, wäre Katoen es auch. Das zumindest hoffte er für den Fall, daß ihre Unterhaltung keinen friedlichen Verlauf nehmen würde.
    Er tischte nicht mehr ganz frisches Brot auf und Käse, der auch schon geraume Zeit darauf wartete, gegessen zu werden. Dazu gab es schales Dünnbier. Es war alles andere als eine verlockende Mahlzeit, aber mehr hatte er nicht zu bieten. Anna jedenfalls griff nicht zu, vielleicht weil sie keinen Hunger hatte, vielleicht aber auch, weil es ihr in ihrer augenblicklichen Lage an Unbefangenheit fehlte. Katoen hielt sich gleichfalls zurück. Er war noch immer gesättigt von den Leckereien aus Catrijns Korb.
    »Wir haben gerade von meinem Vater gesprochen«, sagte er. »Jetzt würde ich gern etwas über den Euren hören!«
    Anna breitete in einer Geste der Ratlosigkeit die Arme aus. »Was soll ich Euch da sagen?«
    »Die Wahrheit wäre ganz angenehm. Fangt doch mit dem Namen an.«
    »Sybrandt Swalmius, das wißt Ihr bereits.«
    »Unsinn!« sagte er, lauter als beabsichtigt. »Er ist ebensowenig Euer Vater, wie Ihr Anna Swalmius heißt! Marlit de Hooch, die Gemahlin von Sybrandt Swalmius, starb im Mai des Jahres 1637, nachdem ihr Mann sein Vermögen verspekuliert und damit sein Dasein als weithin geschätzter Buch-und Bilderhändler beendet hatte. Ob sie freiwillig aus dem Leben schied oder aus Gram und Not verstarb, ist ungeklärt. Sie trug ein Kind im Leib, als sie verschied, das erste Kind, das sie ihrem Mann geboren hätte. Swalmius hat danach nie wieder geheiratet.«
    »Was nicht bedeuten muß, daß er keine Tochter hat.«
    »Wollt Ihr damit andeuten, daß Ihr

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