Die Tulpe des Bösen
seine illegitime Tochter seid?«
»Nein, ich wollte lediglich auf diese Möglichkeit hinweisen. Ich bin kein leiblicher Abkömmling von Sybrandt Swalmius, da habt Ihr recht, und doch darf ich mich mit Fug und Recht seine Tochter nennen. Ich bin sogar fast in dem Alter, das sein Kind jetzt hätte, wäre Marlit nicht verstorben. Er behandelt mich wie eine Tochter und ich ihn wie einen Vater. Er hat sein leibliches Kind noch vor der Geburt verloren, und ich verlor meine leiblichen Eltern, als ich noch ein Kind war. Ich habe einige Jahre im Waisenhaus verbracht und war mehr als froh, als ich schließlich zu Swalmius kam. Zunächst war ich einfach seine Magd, aber er hat mich schon bald als seine Tochter angesehen. Mag sein, daß er in seinem jetzigen Zustand keinen großen Eindruck mehr macht, aber ich bin froh, daß er mich Tochter nennt!«
»Er konnte sich eine Dienstmagd leisten?«
»Zu der Zeit ging es ihm besser, er verdiente einigermaßen mit einem Gemälde-und Bücherstand am Singel. Wohl nicht zu vergleichen mit seinem früheren Geschäft, aber es reichte zum Leben. Doch je älter er wurde, desto hartnäckiger suchten ihn die Geister der Vergangenheit heim, und er konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Als seine bescheidenen Ersparnisse aufgebraucht waren, sind wir in die kleine Wohnung im Jordaan gezogen.«
Die Geschichte ließ Katoen nicht unberührt. Er kannte das Leben im Waisenhaus und die Freude, die ein Waisenkind empfand, wenn es nach Jahren zu Menschen kam, die es Vater, Mutter oder, wie in seinem Fall, Onkel nennen durfte. Es war, als würde einem ein neues Leben geschenkt. Was Anna erzählte, lag im Bereich des Wahrscheinlichen, wenn er auch nicht wußte, ob es die Wahrheit war.
»Wie hießen Eure leiblichen Eltern?« fragte er.
»Julien de Montfor und Susanna Beest.«
»Und Euer wahrer Name?«
»Anne de Montfor, aber Ihr könnt mich ruhig weiter Anna nennen, Mijnheer Katoen. Das ist der Name, den ich jetzt führe.«
»Und Ihr könnt Jeremias zu mir sagen, das klingt weniger umständlich.«
Anna nickte knapp und gab nicht zu erkennen, ob ihr etwas daran lag, ihn beim Vornamen zu nennen.
»Euer Vater war Franzose?« fuhr er fort.
»Ja. Als er meine Mutter heiratete, erwarb er das Amsterdamer Bürgerrecht. Sie war die Tochter eines Schornsteinfegers, der gar nicht weit von hier in einem Haus an der Amstel wohnte.«
»Wie seid Ihr ins Waisenhaus gekommen?«
»Ich habe meine Eltern im Jahr 1651 bei einem Anschlag verloren.«
Katoen wurde hellhörig. »Bei einem Anschlag?«
»Einem Mordanschlag. Eines Nachts haben Unbekannte mit großen Steinen die Scheiben unseres Hauses eingeworfen. Dann kamen mit Öl gefüllte Flaschen und brennende Scheite geflogen. Binnen weniger Augenblicke stand das Haus in Flammen. Ich konnte mich retten, aber meine Eltern hatten weniger Glück, sie sind jämmerlich verbrannt. Mein Großvater mütterlicherseits war da schon ein paar Jahre tot, und sonst hatte ich keine Verwandten.«
»Seid Ihr sicher, daß es ein Anschlag war und nicht bloß ein Unfall? Vielleicht ist das Feuer in Eurem Elternhaus durch eine Öllampe verursacht worden, die beschädigt war oder heruntergefallen ist?«
Anna schüttelte den Kopf, so heftig, daß ihr langes Haar hin und her flog. »Es war kein Unfall, das weiß ich genau. Ich habe das Klirren der Scheiben gehört, als die Steine und Ölflaschen ins Haus geworfen wurden. Und als ich ins Freie taumelte, habe ich einen Mann gesehen, der unser Haus beobachtete. Sobald er mich bemerkte, ist er weggerannt. Leider konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Damals hat sogar einer Eurer Vorgänger, ein Inspektor des Amtsrichters, gesagt, es sei ein Anschlag gewesen. Kurz darauf allerdings wollte er nichts mehr davon wissen.«
»Warum?«
»Ich nehme an, er wurde bestochen oder bedroht. Vielleicht auch beides.«
»Von wem?«
»Wohl von denen, die den Mord an meinen Eltern zu verantworten haben.«
»Das klingt, als hättet Ihr einen bestimmten Verdacht.«
»Den habe ich, aber ich kann ihn nicht beweisen.«
»Mir könnt Ihr sagen, wen Ihr für die Mörder haltet, Anna!«
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Warum sollte ich Euch trauen?«
Er nahm ihre Hände in seine und drückte sie leicht. »Weil ich es gut mit Euch meine. Habt Ihr das noch nicht bemerkt?«
»Das sind große Worte aus dem Mund eines Mannes, der mich eben erst in eine üble Falle gelockt hat.«
Er ließ ihre Hände los und grinste schief. »So übel fand ich sie
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