Die Tulpe des Bösen
tat.
Derweil hob Katoen ihre Waffe auf und betrachtete sie aus der Nähe. Erst jetzt erkannte er, daß es sich nicht um einen Degen handelte, sondern um eine etwas schwerere Waffe, die allmählich aus dem Gebrauch kam, ein Rapier. Es lag gut in der Hand und mußte aus einer der besten Werkstätten stammen, wie er an dem durchbrochenen Faustschutzbügel mit den reichen Silberverzierungen erkannte. Die schlanke zweischneidige Klinge war aus bestem Stahl gefertigt, die ganze Waffe meisterlich gearbeitet. Er führte einen Scheinangriff gegen einen unsichtbaren Gegner aus und stellte fest, daß das Rapier außerordentlich gut ausgewogen war.
»Eine schöne Waffe«, sagte er. »Aus einer französischen oder spanischen Schmiede, nehme ich an.«
»Französisch.« Annas Blick hing an dem Rapier. »Darf ich es wiederhaben?«
Das klang, als ginge es ihr um mehr als die bloße Waffe.
Katoen lächelte. »Zuerst müßt Ihr mir versprechen, die Klinge nicht gegen mich zu führen, Ihr könnt nämlich zu gut damit umgehen. Ich habe heute viel gelernt über die gefährlichen Waffen, die einer Frau zur Verfügung stehen.«
Anna blieb ernst. »Ich werde die Klinge nicht gegen Euch führen, Ihr habt mein Wort. Es war mein Wunsch, Euch zu helfen, Ihr aber habt mich getäuscht und in eine Falle gelockt!«
»Hättet Ihr die Maske denn freiwillig abgenommen?«
Sie schwieg, und er gab ihr das Rapier zurück. Mit einer geschickten Bewegung steckte sie es in die Lederscheide, die an einem ebenfalls ledernen Bandelier hing. Dann suchte sie nach dem Hut, den sie bei der Auseinandersetzung verloren hatte, einem breitkrempigen Männerhut. Ihr ganzer Aufzug war der eines Mannes: Lederwams, Männerhosen und Stulpenstiefel. Das lange Haar schob sie unter den Hut, und wer nicht genau hinsah, mochte sie jetzt tatsächlich für einen Mann halten, zumal mit dem Rapier an ihrer Hüfte.
Auch Katoen hatte bei der Rangelei seinen Hut verloren. Er klopfte ihn an seinem linken Unterarm aus, setzte ihn auf und führte die beiden Teile seines Stockdegens wieder zusammen.
»Eure Waffe ist auch nicht alltäglich«, stellte Anna fest. »Eigens für Euch angefertigt?«
»Nein, für einen Spion der Franzosen.«
»Der hat sie Euch sicher nicht freiwillig überlassen.«
»Nein.« Er lachte rauh. »Aber da, wo er jetzt ist, braucht er keine Waffe mehr.«
Eine Ratte huschte dreist zwischen ihnen hindurch und verschwand wieder in der Dunkelheit.
»Ich hätte Euch noch einige Fragen zu stellen, Anna, aber dies ist nicht der rechte Ort dafür. Hier gibt es zu viele Ratten, solche mit vier wie auch solche mit zwei Beinen. Wir könnten ein Wirtshaus aufsuchen, aber ich würde einen ruhigeren Ort vorziehen. Vielleicht mögt Ihr mich zu meiner Wohnung am Botermarkt begleiten, selbstverständlich ohne Hintergedanken.«
Zum ersten Mal an diesem Abend sah er sie lächeln. »Ihr könnt ruhig Hintergedanken hegen, ich bin ja bewaffnet.«
»Vergeßt Euer Versprechen nicht, Anna!« erwiderte er mit gespielter Strenge.
»Also gut. Ich begleite Euch im vollen Bewußtsein meines Versprechens, und Ihr hegt keine Hintergedanken. Mein Vater braucht um die Ehre seiner Tochter nicht besorgt zu sein.«
»Wer?«
»Mein Vater.«
Katoen stand dicht vor ihr und sah ihr tief in die Augen. »Wer ist das?«
Anna stutzte. »Aber Ihr kennt ihn doch, Sybrandt Swalmius.«
»Ich glaube nicht, daß ich Euren Vater kenne. Heute nachmittag habe ich einige Nachforschungen angestellt, und eines kann ich mit Sicherheit sagen: Ihr seid nicht die Tochter von Sybrandt Swalmius!«
K APITEL 15
Annas Vater
S ONNABEND , 13. M AI 1671
D er Botermarkt lag nahe der Amstel, dem Fluß, dem Amsterdam seinen Namen verdankte. Das in den Amstelländer Niederungen entspringende Gewässer durchfloß die Stadt von Süden nach Norden und mündete ins IJ. Dort, an der Mündung, hatten vierhundert Jahre zuvor Fischer einen Damm errichtet, und aus ihrer kleinen Siedlung Amstelerdam war Amsterdam erwachsen, eine der größten und reichsten Städte der Welt.
Das schmale Haus, in dem Jeremias Katoen wohnte, stand direkt an dem rechteckigen Marktplatz, auf dem jeden Montag die Bauern aus dem Umland Milch, Butter und Käse feilboten. Es gehörte einer gutmütigen Frau, Greet Gerritsen, der Witwe eines Goldschmieds, die sich nach dem Tod ihres Gemahls und der Verehelichung und dem Auszug ihrer beiden Töchter durch die Vermietung der beiden oberen Stockwerke ihren Lebensunterhalt verdiente. Er war zufrieden hier.
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