Die Ueberbuchte
verschwendete sie auch diesmal keinen einzigen Gedanken daran.
Der Abschied von Dagmar und Ernst, konnte nicht herzlicher sein, es war als kennten sie sich schon eine kleine Ewigkeit. Und Lena wusste nun, sie hatte zwei wunderbare Menschen als Freunde gefunden – und das tat überaus gut zu wissen.
Gegen Mittag kam sie in Bremen an und ohne wesentliche Zeit zu verlieren, nahm sie sich ein Taxi und fuhr zu Knut.
Dass es ein besonders schöner Spätsommertag war, interessierte sie im Augenblick herzlich wenig. Und je mehr sie sich ihrem Ziel näherte, je seltsamer wurde ihr zumute. Längst war die Zuversicht, die vollkommene Sicherheit, dass absolut Richtige getan zu haben, einer schrecklichen Verzagtheit gewichen. Sie spürte, wie ihre Finger zu zittern begannen. Es kostete sie eine immense Mühe ruhig zu wirken. Der Mund war trocken und am Hals erschienen die verräterischen, hektisch roten Flecken. Am liebsten wäre sie wieder umgekehrt und unbemerkt nach Hause gefahren.
Doch nun war sowieso alles zu spät, denn das Taxi hielt vor einem Haus, das sie aufgrund Knuts guter Beschreibung sogleich erkannte.
Da stand sie nun vor dem schwarzlackierten, schmiedeeisernen Tor und fragte sich betroffen, war das wirklich sinnvoll was sie da tat?«
»Zu wem wollen Sie?«, fragte da eine dunkle Männerstimme von der Terrasse aus.
Sie zauderte, und als sie antwortete: »Zu Herrn Knut Björnson …«, erschrak sie über ihre fremd klingende Stimme.
»Mein Bruder ist nicht zu Hause. Er ist vor etwa einer halben Stunde weggefahren, und ich schätze, das dürfte auch eine Weile dauern bis er zurückkommt.«
»Oh, das ist aber unangenehmen.«
Der Mann mit bloßen Oberkörper und ausgetretenen Badelatschen an den Füßen, war langsam näher gekommen und fragte mit eigenartigen Lächeln: »Sind Sie nicht die Lena aus Leipzig?«
Lena nickte. »Ja, die bin ich …«
Der Mann öffnete das Gartentor und streckte ihr impulsiv die gepflegte Hand entgegen. »Wie schön, Knut wird sich freuen!« Er ließ sie eintreten und bat sie, bis Knut zurückkäme mit ihm vorlieb zu nehmen.
Allmählich verebbte ihre Aufgeregtheit, sie wurde wieder sicherer und begann sich allmählich wohl zu fühlen.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten, einen Kaffee oder lieber einen kühlen Drink? Meine Frau ist leider auch unterwegs, was sie sicherlich bedauern wird. Oder bleiben Sie einige Tage?«
»Nein, das wohl kaum.«
»Dann habe ich ja direkt Glück gehabt, Sie noch kennenzulernen, denn ich muss heute Abend auch schon wieder abreisen.«
»Arbeiten Sie zurzeit nicht in den neuen Bundesländern?«
»Ja«, erwiderte er zögernd und seufzte leicht, dann zündete er sich eine Zigarette an.
Lena, die sein Gesicht genau beobachtet hatte, war der sich deutlich verfinsternde Zug um seine Mundwinkel nicht entgangen. »Ihrem zögerlichen ja nach zu urteilen, scheint Sie diese Arbeit nicht sonderlich zu befriedigen?«
»Doch, doch, sehr sogar!« Er lehnte sich zur Seite, um die Asche in einem als langstielige Rose geschmiedeten Aschenbecher abzustreifen, der zwischen den eleganten Rohrsesseln stand. Dann ließ er sich weich zurückfallen und sah sie, mit gegen die Sonne blinzelnden Augen an. »Die Arbeit selbst ist es nicht, die entmutigt und nervt, es ist vielmehr die unerträgliche Aussichtslosigkeit, das permanente Zuspätkommen … Anstatt rechtzeitig, wenn eine Rettung noch möglich gewesen wäre, kommt der Hilferuf meist erst wenn alles bereits zu spät ist. Es ist ein Jammer, nicht nur, dass das fehlende Eigenkapital vielfach eine positive Entwicklung gar nicht erst zulassen würde, kommt zumeist auch noch ein fehlerhaftes Management erschwerend hinzu.«
»Könnte es nicht vielmehr auch so sein, dass gar zu vielen haltlosen Spekulanten Tür und Tor geöffnet wurden?«
»Das auch – sicherlich, die gibt es immer wieder – zumal in so einer chaotischen Umbruchsphase. Doch der Gerechtigkeit halber muss gesagt werden, dass im großen Umfang gigantische Pionierarbeit geleistet wurde und noch geleistet wird.« Er hielt inne und sah einen Augenblick überlegend vor sich hin. Plötzlich richtete er sich auf und beschattete die Augen mit der Hand. »Nein, das ist es auch nicht was ich meine … Es ist vielmehr die teilweise starre, äußerst unflexible Arbeitsweise, die ein schnelles unbürokratisches Handeln verhindert, ja mitunter vollkommen unmöglich macht. Es ist so vieles, was hätte verhindert werden können, wenn von Anfang an eine etwas bessere
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