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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Rawolle
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Koordinierung stattgefunden hätte. Ich fürchte nur, dass das weit größere Dilemma, dass der unvermeidlichen Pleiten, in den kommenden Jahren im extremen Umfang zunehmen werden. Außerdem wird der unaufhaltsam voranschreitende technische Fortschritt, weitere Arbeitsplätze vernichten – mir graut schon jetzt vor den zu erwartenden Zahlen.«
    Lena lachte. »Gott, wenn ich daran denke, wie wenig wir doch damals zu DDR-Zeiten von alledem gewusst haben – Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Obdachlosigkeit und so weiter …« Sie verzog verächtlich den Mund. »Und dann der wahnwitzige Irrglaube, von nun an würde alles so viel gerechter und besser verlaufen – weitgefehlt, denn die unübersehbare Ähnlichkeit in vielen Dingen, ist meistens noch frustrierender.« Sie hob wie zur Entschuldigung abwehrend die Hand in die Höhe und sagte mit einem versöhnlichen Lächeln: »Ich muss allerdings zugeben, dass es mir, im Gegensatz zu früher, wesentlich besser geht – was leider nicht alle von sich behaupten können.«
    Er schmunzelte. »Wenigstens ein Lichtblick!«
    Um möglichst von sich abzulenken, fragte sie: »Wie ist das, wenn Sie immer nur am Wochenende nach Hause kommen, ist das nicht recht belastend für Ihre Frau?«
    »Sicherlich.« Auf seiner Stirn bildete sich eine senkrechte Falte. Er holte tief Luft und sah leicht bekümmert zur Seite. »Ich werde maximal ein bis zwei Jahre bleiben.« Und mit erhobener Stimme und forschenden Blick, geradeso als müsse er sich Lenas Aufmerksamkeit erst vergewissern, fügte er hinzu: »Ich weiß nicht ob Sie das verstehen können, aber ich sah gerade in dieser schwierigen wirtschaftlichen Phase, eine geradezu einmalige Herausforderung für mich. Nicht nur das, ich wollte vor allem die Gelegenheit nutzen, um Land und Leute besser kennenzulernen. Beziehungsweise in dieser Richtung fehlendes Wissen nachholen. Denn was wussten wir schon vom Osten. Ehrlich gesagt, es hat uns auch kaum interessiert. So gesehen muss ich fairerweise zugeben, dass mich der enorme Einsatz dieser Leute zutiefst beeindruckt.«
    »Warum auch nicht, wir waren schließlich durch die anhaltende Mangelwirtschaft auf eine ganz besondere Kreativität angewiesen – schon allein deshalb, um das Leben so einigermaßen erträglich zu gestalten.«
    »Also war es doch mieser, als man neuerdings zuzugeben bereit ist?«
    »Mies …? Ja ja – sicherlich – aber anders als gelegentlich angenommen wird. Gewiss, wir waren unfrei - sehr unfrei sogar, wie es halt einer Diktatur entspricht. Dazu gehörte natürlich in erster Linie, dass die eigene Meinung strickt zu unterbleiben hatte, wenn sie nicht dem System entsprach. Heute dagegen, dürfen wir alles und zu jeder Zeit sagen, doch es hört keiner mehr zu. Und selbst in einem Rechtsstaat sind die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität vielfach extrem fließend. Die wirkliche Freiheit, so wie sie uns angesichts der Verherrlichung des Westen jahrzehntelang vorgeschwebt hat, bleibt im Grunde nur eine Utopie – denn die eine Abhängigkeit, löste lediglich die andere Abhängigkeit ab.«
    »Vielleicht …«, murmelte Knuts Bruder. Und nach kurzem Schweigen fragte er völlig unerwartet: »Ich nehme an, Sie werden recht bald zu Knut übersiedeln, oder …?«
    »Nein – das werde ich nicht.«
    »Nicht?«
    »Nein.« Große, unverhohlen erstaunte Augen sahen sie an.
    Sie lächelte schwach und wiederholte erneut: »Nein, das werde ich nicht tun.«
    »Nanu, dann muss ich wohl etwas falsch verstanden haben. Übrigens«, er zeigte zur Straße hin, »da kommt Knut zurück.«
    Und kaum das die Worte zu ihr gedrungen waren, wich die heitere Unbefangenheit aus ihrem Gesicht; sie erstarrte förmlich. Jeder einzelne Nerv bis aufs äußerste angespannt, sah sie ihm mit angehaltenem Atem entgegen. Noch gelang es ihr, sich hinter der am Wegrand stehenden Blautanne, seinen Blicken zu entziehen. Diesen kurzen Augenblick nutzte sie um tief durchzuatmen. Nun aber war er aus dem Schatten der mächtigen Blautanne hervorgetreten und so konnte sie deutlich, sein gutes rundes Gesicht, mit den hellen, stets ruhig blickenden Augen sehen, die auf seinen Bruder gerichtet waren, der ihm entgegenging. Lena schluckte, denn die Kehle war ihr wie zugeschnürt und die Finger verkrampften sich ineinander.
    »Knut, du hast Besuch …«, wies sein Bruder mit ausgestreckten Arm in Richtung Terrasse.
    »Ich …?« Er hob überrascht den Kopf und erblickte Lena in dem weißen Leinenkleid, das er so sehr an ihr

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