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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Rawolle
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Oder glaubst du im Ernst, dass ich mich immer nur aus reinsten Vergnügen, in das, wie du annimmst, abenteuerliche Leben gestürzt habe? Sozusagen nach der Devise, nichts beachten, nichts sehen, nichts fühlen … Gut, ich räume ein und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich wirklich erst sehr spät, ein zweites, ein anderes Ich in mir entdeckt habe. Aber vielleicht war es eher auch gar nicht möglich. Meiner Situation einfach nicht zuträglich. Was hätte ich denn deiner Meinung nach machen sollen? Etwa eine Familie gründen, mit der Maßgabe, irgendwann im Jahr, möglicherweise im Winter, werden wir für einige Zeit zusammen sein? Denn dann dürfte der Jahresurlaub völlig sein, um uns näher kennenzulernen – vorausgesetzt wir wollen es dann noch. Nein, liebe Dagmar, nicht mit mir!«
    »Andere können es aber doch auch, siehe Arne!«
    »Hm, sicherlich.« Er überlegte einen Augenblick. »Das war aber nicht von Anfang an so. Arne hat viele Jahre, im Innendienst gearbeitet. Außerdem ist nicht jede Frau so ein pflegeleichtes Hausmütterchen, wie du.«
    »Was bin ich, ein pflegeleichtes Hausmütterchen?!«, fuhr sie ihn mit böse funkelnden Augen an.
    Ernst, der sich bis dahin nicht sonderlich am Gespräch beteiligt hatte, lachte nun ungeniert auf.
    »Ja, ja, lach du nur auch noch darüber!«, giftete sie ihn wütend an. Und mit abgewandten Gesicht wirkte sie enttäuscht, und stieß verärgert hervor: »Das ist ja wirklich die Höhe!«
    Als Knut bemerkte, dass seine Schwester ernsthaft wütend war, sprang er rasch von seinem Stuhl auf, legte in versöhnlicher Pose beide Arme um ihre festen Schultern und bat mit reumütiger Stimme: »Entschuldige, meine allerliebste Schwester, das war doch überhaupt nicht abfällig gemeint. Im Gegenteil, du dummes Ding du, wie froh wäre ich gewesen, so ein allerliebstes und noch dazu gescheites Frauenzimmer zu Hause zu wissen. Immer für mich da, immer alle Freude und Sorgen gemeinsam teilen, weißt du überhaupt was das bedeutet?«
    »Ach was, merkst du denn gar nicht, wie du dich pausenlos widersprichst?«, versuchte sie sich seinem Arm zu entziehen. »Das sagst du doch jetzt nur, um mich zu trösten – ich kenn dich doch!«
    »Unsinn, Dagmar«, erwiderte er ungewöhnlich ernst, »wir glauben zwar immer den anderen zu kennen, aber letztendlich kennen wir uns doch nicht einmal selbst. So nützt es auch nichts zu sagen; wenn dies und das wäre, ja dann wäre … Gar nichts wäre dann, denn wenn wir nicht wirklich bereit dazu sind, es wirklich zu wollen und vor allem auch klar zu erkennen, passiert gar nichts. Denn auch jetzt, wo ich mir zwar einbilde einiges erkannt zu haben, kann das im nächsten Moment schon ganz anders sein. Erst wenn sich in meinem gewohnten Umfeld, meiner bekannten Lebensweise, eine Veränderung als wünschenswert erweisen sollte, dann würde ich sie wohl oder übel akzeptieren müssen.«
    »Und wie sehe diese aus …?«
    »Wenn ich das wüsste, brauchte ich wohl kaum herumzurätseln.«
    »Lasst mal gut sein«, warf da Ernst begütigend ein, »denn ich für mein Teil bin überzeugt davon, dass das Leben immer noch selbst entscheidet, was es mit uns vorhat. Nichts davon ist umsonst oder nebensächlich, auch wenn wir es manchmal nicht wahrhaben wollen; doch gerade die Umwege, die anscheinende Ziellosigkeit, oder auch die scheinbare Gewohnheit, ist nichts anderes als ein Teil unseres Lebens, auf dem Weg zur Endlichkeit. Jeder wird sie finden, der eine früher, der andere später – manche auch erst im Angesicht des Todes.«
    »Etwa auch dem, der nie danach verlangt?«, erkundigte sich Knut mit unverkennbarer Skepsis.
    »Hast du denn danach verlangt?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.
    Knut schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht.«
    »Siehst du. Und weil das so ist, und nicht genauer erklärbar ist, nennen wir es der Einfachheit halber, Schicksal – schlicht und einfach Schicksal. Oder kennst du dafür eine bessere Erklärung?«
    »Na schön, wenn du meinst«, erwiderte Knut resigniert. Er lehnte sich, mit über den Kopf erhobenen Armen, seufzend zurück. »So, und nun möchte ich ohne jegliche philosophische Erklärung die köstliche Sonne genießen.«

    Der Abschied von Sylt, von seiner liebenswerten Schwester und ihren Mann, dem sogenannten Eigenbrötler, fiel ihm diesmal nicht so leicht als sonst. Früher, na ja, da handelte es sich zumeist um einen gewissen Anstandsbesuch – wenn überhaupt. Gespräche, soweit es dazu kam, drehten sich

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