Die Ueberbuchte
»Nicht jetzt, erst gegen neun Uhr!« Auf halbem Wege drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Mutter ist schon schlafen gegangen. Sie verkraftet den Trubel nicht mehr all zu gut.«
Knut nickte. »Ich weiß.« Dabei bemerkte er im Halbdunkel des Hausflures, dass ihre Augen rot umrändert, letzte Spuren von Tränen aufwiesen. Der Grund hierfür war leicht zu erraten.
Und wie zu erwarten war, verlief der Rest des Abends in bedrückender, direkt frostigen Atmosphäre. Keiner wagte dem anderen offen in die Augen zu sehen, geschweige denn ein unterhaltsames Gespräch in Gang zu setzen; womöglich noch die abgereisten Kinder betreffend. Es schien, als wäre jeder nur damit beschäftigt, möglichst schnell und unauffällig den Raum verlassen zu können.
»Ich muss noch einmal nach dem kaputten Gatter sehen, damit die Tiere nicht ausbrechen«, sagte Max und hetzte förmlich aus dem Zimmer.
Edda blieb sitzen, den Kopf auf beide Hände gestützt, sah sie schweigend vor sich hin.
»Kann ich dir noch etwas helfen?«, fragte Knut, mehr nur um überhaupt etwas zu sagen.
»Nein, wieso auch, mir hilft doch sonst auch niemand«, erwiderte sie mit kindlichen Trotz.
»Nun ja, darüber scheinen mehr oder weniger alle Mütter zu klagen – es fragt sich nur, was ist der wirkliche Grund hierfür?«
Sie nahm die Ellbogen vom Tisch und warf ihm einen eisigen Blick zu. »Du und deine blöden Sprüche!«
»Wenn du meinst«, hob er wie bedauernd die Schultern und machte Anstalten um ebenfalls das Zimmer zu verlassen.
»Nein, bitte«, hielt sie ihn am Arm fest. »Ich kann jetzt nicht alleine sein«, flehte sie mit tränenerstickter Stimme.
Betroffen über ihren leidenschaftlichen Ausbruch, setzte er sich wieder nieder und wartete geduldig ab bis sie sich einigermaßen gefasst hatte.
Es dauerte auch nicht allzu lang, dann wischte sie sich die Tränen ab und stammelte in halbverschämter Mutlosigkeit: »Warum – warum – können die Kinder nicht verstehen – dass wir es nur gut mit ihnen meinen? Wir tun doch alles, um ihnen zu helfen, ihnen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten; und die, was tun die?! Sie gehen einfach, wenn etwas nicht nach ihren Willen verläuft! Als ob uns alles in den Schoß gelegt worden wäre.« Sie schluckte mehrmals, wischte sich über die noch immer feuchten Augen und fuhr mit tief gesenkten Kopf fort: »Was wissen die schon, wie viel Elend wir ertragen mussten, nur weil meine Mutter Halbjüdin war. Sie haben uns davongejagt, ohne danach zu fragen wohin – ohne zu wissen, ob es überhaupt einen nächsten Tag geben würde – so sah es doch aus! Das war die Realität – unser Leben! Und jetzt, da zählt das alles nichts mehr. Im Gegenteil, die Kinder wollen davon nichts hören: es sei nicht ihr Leben, weisen sie jede diesbezügliche Ermahnung großspurig zurück.« Sie wandte sich ihm zu. »Du hast keine Kinder, du weißt nicht wie das ist, wenn man dauernd zu hören bekommt, wie unaufgeklärt, rückständig und spießig wir sind. Ja auf Grund unseres kleinkarierten Denkens, vermiesen wir ihnen angeblich jede Lebensfreude. Sag doch selbst, haben wir das wirklich verdient?«
»Nun, lieb Edda«, er strich behutsam über ihren Arm, »Kinder sind nun einmal nicht das Eigentum ihrer Eltern. So hart das auch klingen mag, ihr habt nicht das mindeste Recht darauf den Lebensweg eurer Kinder zu bestimmen – auch wenn ihr sehr viel Kraft, und wohl noch mehr Geld in sie investiert habt.«
»Das hätte ich mir denken können, dass du so sprichst«, sagte sie bitter. Sie ließ die Schultern hängen und blickte auf die rauen, abgearbeiteten Hände in ihrem Schoß. »Es kann aber doch keiner von uns verlangen, dass wir bei der Entgleisung unserer Kinder tatenlos zusehen?«
»Entgleisung …? Was für ein schreckliches Wort! Meines Wissens nach, ist Uwe sogar ein recht umsichtiger, überaus tüchtiger Landwirt, und Lars, na ja, er ist noch zu jung, um eine gewisse Beständigkeit an den Tag zu legen.«
»Das ist es doch nicht – das weiß ich auch«, klagte Edda. Sie hob die Stimme. »Es sind vielmehr ihre ständigen Kapriolen mit den Frauen; ihr ewiges Hin und Her. Vor allem Lars, der kennt darin keine Grenzen. Diese Carola zum Beispiel, ein wirklich gescheites und vor allem vernünftiges Mädchen, was aber sagt Lars: sie sei ekelhaft mimosenhaft und viel zu langweilig! Dabei verfügt sie über ein erstklassiges Familienhaus.«
»Also wohlhabend«, warf Knut spöttisch ein.
»Du brauchst gar nicht so
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