Die Ueberbuchte
dich gewartet«, sagte sie an Stelle des Morgengrußes.
»Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen«, erwiderte er sanft und half ihr beim Aufstehen.
»Du strahlst ja so? Und das bei dem scheußlichen Wetter?«, wunderte sie sich.
»Eben deshalb, da es bei schönem Wetter kein Kunststück ist.« Er schenkte ihr Tee ein und fragte: »Was möchtest du, Brötchen oder Toast?«
»Danke, mir reicht der Tee.« Und sich gleich darauf verbessernd: »Doch ein Toast mit Butter, bitte.« Sie beobachtet jeden seiner Handgriffe sehr genau, und lächelte ihm freundlich zu als er ihr das Gewünschte hinreichte. »Weißt du, mein Jung, in meinem Alter mag man nicht mehr so viel essen.«
Knut nickte, und langte ordentlich zu. Ihm schmeckte es zu jeder Tageszeit, das höchstens der Ärger mit Macht vermiesen konnte.
»Was hat denn Dagmar gesagt? Du hast sie doch angerufen?«, wollte nun seine Mutter wissen.
»Ach ja, ich soll dich natürlich herzlich grüßen, und sie wünscht sich von ganzen Herzen, dass du mich zu ihr begleitest.«
»Was soll ich?«, sah sie ihn ungläubig an. »Dich zu ihr begleiten? Diese Deern aber auch …«, schüttelte sie den Kopf.
»Warum denn nicht?«, sagte er ebenso verwundert. Er beugte sich etwas vor, um in ihr Gesicht blicken zu können. »Glaubst du etwa, ich kann das nicht? Ich bin schließlich Berufskraftfahrer.«, schlug er sich großspurig gegen die Brust.
Seine Mutter lachte. »Das weiß ich doch.«
»Na also, dann ist ja alles in bester Ordnung, und gleich nach dem Frühstück fahren wir los.«
»Wir …?« Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie die Tasse kaum halten konnte. »Du meinst, ich soll …«, unterbrach sie sich und sah ihn mit großen, verständnislosen Augen an.
»Aber ja, Mutter, du würdest Dagmar eine riesige Freude damit bereiten.«
Einen Augenblick herrschte Stille, nur das Knistern der Holzscheite im Kamin war zu hören.
»Du meinst wirklich, die Deern würde sich freuen?«, flüsterte sie, als habe sie Angst vor ihrer eigenen Stimme.
Knut sagte nichts darauf, er legte nur weich den Arm um ihre Schultern und drückte sie zärtlich an sich.
Sie seufzte tief auf und sagte leise aber mit ziemlichen Nachdruck: »Gut, dann fahren wir auch.«
Seiner Freude kaum mächtig, küsste er sie fast stürmisch auf die Wange.
Wider erwarten verliefen alle Vorbereitungen, sowie die Verabschiedung von Edda und Max vollkommen reibungslos. Auffällig war höchstens, dass eine beiderseitige Erleichterung spürbar war. Selbst seine Mutter, die seit Jahren ihren Grund und Boden nicht mehr verlassen hatte, schien so etwas wie eine längst vergangene Reiselust in ihr aufzuflammen – wenn auch nur zaghaft verhalten, war sie dennoch für jedermann gut sichtbar.
»Dein Auto ist bequemer als Max seins«, bemerkte seine Mutter mit anerkennenden Lächeln. Und als er nichts darauf erwiderte fügte sie hinzu: »Wie froh war euer Vater damals, als es ihm nach vielen Jahren harter Entbehrung endlich gelungen war, einen Traktor anzuschaffen. O ja, damals galt das noch als etwas ganz Besonderes – einen gewissen Status.« Sie lächelte versonnen. »Eigentlich eine schöne Zeit damals – endlich ging es wieder aufwärts. Der Krieg geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Viel Neues wurde geschaffen – fast so ein emsiges Leben wie neulich die Ameisen; erinnerst du dich noch?« Doch ohne auf eine Antwort zu warten, erzählte sie in bedächtiger Langsamkeit weiter: »Da gab es tatsächlich noch so etwas wie eine allgemeine, sehr belebende Aufbruchsstimmung, die auch die größten Strapazen mit der Aussicht auf Erfolg, in tiefe Freude verwandelte. Selbst die Gemeinschaft, die Zusammenarbeit, der Austausch von Erfahrungen und gegenseitiger Unterstützung bei den alltäglichsten Problemen, vollzog sich ganz wie von selbst. Und heute …?«, seufzte sie.
Knut, der still zugehört hatte, erwiderte mit ernsten Gesicht: »Die Vergangenheit ist von jeher bemüht, den Schleier der Schönheit über all die vorangegangenen Hässlichkeiten auszubreiten. Was vielleicht auch gut so ist, sonst würde sich ein Neuanfang kaum noch lohnen.« Er zögerte einen Augenblick, als ob ihm die zu sagenden Worte Schwierigkeiten bereiteten. »Weißt du, was das Schrecklichste daran ist, dass eigentlich keiner aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Niemand, auch die damals Betroffenen nicht. Sieh dich doch um, die Menschen gehen nach wie vor in hemmungsloser Gewalt aufeinander los, und wenn es nur wegen der
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