Die Ueberbuchte
anderen Hautfarbe, Religion, Nationalität, und natürlich aus Besitzansprüchen geschieht, so bleibt es dennoch ein Unrecht, eine grobe Verletzung aller Menschenrechte. Vieles beginnt wieder neu zu wuchern, was eigentlich längst hätte ausgerottet sein müssen.« Er verstummte plötzlich, da er das zur Seite nicken ihres Kopfes bemerkte. Sie war also eingeschlafen. Ihm war schon seit einiger Zeit aufgefallen, dass seine Mutter mit zunehmendem Alter wesentlich öfters Schlaf bedurfte, und das meist in kurzen Abständen auf den ganzen Tag verteilt.
Er fuhr zügig, aber nicht zu schnell, so dass er laufend, von, im wahrsten Sinne des Wortes, vorüberschießenden Autos überholt wurde. Dabei war die Sicht alles andere als gut.
Erst bei Erreichung der Insel wachte seine Mutter wieder auf.
»Wo sind wir denn?«, fragte sie und blinzelte benommen zum Fenster hinaus.
»Wir sind gleich da.« Er zeigte auf das hinter hohen Buschwerk und einzelnen Birken und Eichen auftauchende Spitzdach, auf dem ein eiserner Wetterhahn, scheinbar höchst unlustig seines Amtes waltete.
Dagmar, die frische Komposterde auf die seitlich am Weg entlanglaufenden Blumenbeete streute, richtete sich hastig auf, wischte sich die Hände hastig an der derben Arbeitsschürze ab und lief freudig winkend den Wagen entgegen. »Wie schön, wie wunder- wunderschön!«, rief sie in einer unnachahmlichen Begeisterung. Und noch ehe Knut seiner Mutter beim Aussteigen behilflich sein konnte, hatte Dagmar längst die Wagentür aufgerissen, um ihrer Mutter zu helfen und sie zu begrüßen. Plötzlich hielt sie ihre Mutter etwas von sich entfernt und beäugte sie genauer. »Du wirst immer kleiner, und so mager … Na ja, für dein Alter wohl ganz angebracht«, fügte sie scherzend hinzu.
Die Rührung über die unerwartete Begegnung mit ihrer einzigen, und daher besonders geliebten Tochter, trieb ihr die Tränen in die Augen und sie stammelte bewegt: »Ach – meine Deern – meine liebe – liebe Deern.« Die Stimme versagte ihr.
Dagmar legt beide Arme um die gebrechliche, vor Aufregung zitternde Gestalt ihrer Mutter und drückte sie, so liebevoll sie nur konnte, zärtlich an ihre Brust.
Knut tippte seiner Schwester vorsichtig auf die Schulter. »Wäre es nicht sinnvoller erst einmal ins Haus zu gehen; der Regen wird immer stärker.«
»Wahrhaftig, es regnet ganz schön«, bestätigte Dagmar. Sie zwinkerte ihn vielsagend zu und sagte mit vergnügten Lächeln: »Du bist ein Schatz, ein richtiger Pfundskerl! würden jetzt die Bayern sagen.«
»Siehst du, das habe ich doch immer schon gesagt«, rief er großspurig, und wandte sich augenblicklich dem im Kofferraum verstauten Gepäck zu.
Die beiden Frauen hatten indes das Haus betreten.
»Gott, wie schön, wie gemütlich!«, hörte er da auch schon seine Mutter entzückt rufen.
Dagmar blickte ihre Mutter ziemlich verdutzt an. »Nanu, Mutter, sag bloß du kennst das alles noch gar nicht?«
»Nein, woher auch, ich war seit euren Umbau nicht mehr hier.«
»Das ist doch nicht möglich!«, rief Dagmar tief bekümmert. Sie überlegte einen Augenblick und kam zu dem Schluss: »Ja, du hast recht, Mutter, du warst seit dem Umbau nicht mehr bei uns. Das ist ja entsetzlich, findest du nicht auch?«
Um Mutter und Tochter ihrer Wiedersehensfreude selbst zu überlassen, brachte Knut erst einmal das Gepäck auf die Zimmer und machte sich anschließend etwas frisch.
Inzwischen war auch Ernst im Haus eingetroffen und hatte seine Schwiegermutter bereits begrüßt, als Knut in bequemer Freizeitbekleidung das Zimmer betrat.
Nach dem Austausch der herkömmlichen Begrüßungsfloskeln, sowie sonstiger Neuigkeiten, die sich aber aufgrund der Kürze ihrer Trennung ziemlich in Grenzen hielten, wollte Dagmar plötzlich wissen, wie es ihm eigentlich bei seinem Bruder Max gefallen habe.
»Das musste ja jetzt kommen«, sagte Knut mit bezeichnender Skepsis. Er lehnte sich behaglich zurück, sah mit unbeschreiblicher Gleichgültigkeit in die gespannt blickenden Augen seiner Schwester und schmunzelte in genüsslicher Schadenfreude. »Ich sehe schon, liebe Dagmar, wie dich die Neugier quält – förmlich auffrisst.«
»Du bist gemein! Jawohl, ein ekelhaftes Scheusal bist du!«, rief Dagmar mit drohender Gebärde und beteuerte mit komischer Zerknirschung: »Das hört sich ja gerade so an, als ob ich nur auf Gehässigkeiten aus wäre.«
»Ach, etwa nicht …?«, fragte er gedehnt. Er beugte sich über den Tisch und streichelte
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