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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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das ich wie einen Turban um meinen Kopf binden konnte, ich zog ihre Hosen und Hemden an, aber niemand wollte etwas davon wissen. Sie sahen mich alle nur an und seufzten und sagten, das arme Ding, sie wird nie einen Mann finden, der sie heiratet.
    Ich begriff nicht, wozu ich überhaupt heiraten musste. Warum konnte ich nicht einfach für immer und ewig in diesem Geisterschloss von einem Haus wohnen bleiben? Meine Brüder würden heiraten und jeder eine Bahu mit nach Hause bringen. Auch ich träumte davon, zur Freude meiner Mutter eine liebreizende, bei jeder Gelegenheit errötende Bahu mit nach Hause zu bringen. Vielleicht würde sie mich dann mögen.
    Ich fragte meine Schwester, ob sie mich heiraten wollte, damit keine von uns je das Haus verlassen müsste. Ich hielt das für die beste Lösung. An jenem Tag hat sie geweint, glaube ich.
    â—† ◆ ◆
    Im Fernsehen wurde wieder über Durgas Fall berichtet. Irgendjemand war auf ihre Schwägerin in Southall gestoßen.
    Â»Können Sie uns etwas über Durga erzählen?«
    Brinda Atwal, alias Binny, wurde ein Mikrofon unter die Nase gehalten. Ich betrachtete sie voller Interesse. Sie sprach mit einem ausgeprägten Cockney-Akzent, doch ansonsten war alles an ihr sehr traditionell indisch. Wunderschönes, langes schwarzes Haar, ein weißer Salwar Kamiz, der ihr sehr gut stand. Sie hatte hohe Wangenknochen, was ihr ein ausgesprochen apartes Aussehen verlieh. Der einzige Farbtupfer in ihrem Gesicht war ihr grellroter Lippenstift. Ein Kameraschwenk zeigte ein typisch englisches Mittelklasse-Reihenhaus mit Spitzengardinen an den Fenstern. Im Hintergrund erkannte man einen gerahmten Wandteppich, eine Kreuzsticharbeit, die den Guru Nanak darstellte, wie er mit seinen Fingern Lichtstrahlen aussandte, die genau auf Binny zielten.
    Â»Das arme Ding. Ich habe sie wirklich immer sehr gemocht.«
    Â»Hätten Sie je geahnt … dass sie zu so etwas fähig sein könnte?«
    Â»Ich glaube einfach nicht, dass sie überhaupt irgendwas getan hat. Ich halte sie für vollkommen unschuldig. Schließlich ist sie ja gerade mal vierzehn Jahre alt. Aber Sie wissen ja, wie das Justizsystem in Indien so ist. Ich mache mir die ganze Zeit Sorgen um sie. Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas Unrechtes getan hat – ich weiß es –, und doch hat man sie verhaftet, während die wahren Schuldigen frei herumlaufen.«
    Â»Können Sie uns etwas über sie erzählen? Und über die Familie?«
    Â»Ich habe sie ja nicht sonderlich gut gekannt. Es war eine arrangierte Ehe. Ich habe mein ganzes Leben hier in Southall verbracht, ich bin hier geboren. Durgas Bruder Jitu sollte mit mir nach England kommen. Wir waren ja erst seit Januar verheiratet …«
    Â»Was können Sie uns über Ihre angeheirateten Verwandten sagen?«
    Â»Anständige Leute. Sehr strenggläubig, sehr gottesfürchtig. Meine Schwiegermutter war ständig im Gebetshaus. Sie schienen einander auch sehr nahegestanden zu haben … Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass sie irgendwelche Feinde gehabt haben können. Und sie waren sehr gut in die Gesellschaft von Jullundur integriert. Die Menschen dort mochten sie und haben sie sehr respektiert.«
    Â»Was, meinen Sie, ist denn da nun eigentlich passiert?«
    Â»Wie ich bereits sagte, ich weiß es nicht. Und da Durga sich in Untersuchungshaft befindet, haben wir seitdem auch nicht mehr miteinander sprechen können, aber ich halte über eine Sozialarbeiterin namens Simran Singh Kontakt mit ihr.«
    Â»Ihr Kind hat ja nun seinen Vater verloren …«
    Binny holte tief Luft, und etwas huschte über ihr Gesicht. »Wir werden es schon irgendwie schaffen. Ich glaube daran, dass alles, was geschieht … zum Besten ist.«
    Â»Wie meinen Sie das?« Die Reporterin schien über diese Aussage schockiert.
    Binny blickte unverwandt in die Kamera. »Dass es so besser ist, weil ihr nun der Kummer erspart bleibt – wenn das Kind schon seinen Vater verlieren muss. Man kann jemanden nicht vermissen, den man nie gekannt hat.«
    Die Nachrichtensendung wechselte zu politischen Themen, und ich lehnte mich in der Zurückgezogenheit meines Gästezimmers mit meiner Tasse Kaffee und meiner Zigarette in meinem Stuhl zurück. Ich war beeindruckt von der stoischen Gelassenheit, mit der Binny die Fragen beantwortet hatte. Ich musste sie dieser Tage unbedingt mal

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