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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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unterhalten. Warum erzählst du mir nicht einfach, was du über sie weißt? Das könnte die einzige Möglichkeit sein, dem Mädchen zu helfen.«
    Â»Dem Mädchen zu helfen? Wer würde denn einer Mörderin helfen wollen?« Amrinder wirkte völlig entsetzt.
    Â»Meine Aufgabe ist es, sie zum Reden zu bringen. Sie ist vergiftet, gefesselt, vergewaltigt und eingeschüchtert worden. Man hat ihre gesamte Familie ausgelöscht.« Ich versuchte, ein wenig Mitgefühl für Durga zu erwecken, aber es war, als versuchte man, aus einem Stein Blut herauszuquetschen. Wie durch einen Zauber erschien vor mir wieder das gefühlskalte, von Ehrgeiz zerfressene und nur von sich selbst eingenommene Mädchen, das Amrinder früher gewesen war. Und nun war sie als Gattin eines höheren Polizeibeamten in einer kleinen Stadt noch blasierter geworden. Es konnte einen wirklich auf die Palme bringen. Es wunderte mich nicht länger, dass die beiden geheiratet hatten. Sie passten perfekt zueinander.
    Â»Hat Ram dir von ihrer Schwester erzählt?«
    Â»Ja.«
    Â»Also, meine innere Stimme sagt mir, dass diese Familie irgendwie mit einem Fluch belastet ist und dass du kaum etwas erreichen wirst. Aber ich denke doch, dass diese beiden Ereignisse miteinander verknüpft sind. Die erste Tochter verschwindet, und nun das.«
    Â»Was erzählt man sich denn so über ihre Schwester?«
    Â»Man munkelt, dass ihr Verschwinden etwas damit zu tun hatte, dass sie schwanger war. Sie war damals doch erst sechzehn. Ich denke, sie ist einfach durchgedreht.«
    Â»Wie lange ist das jetzt her?«
    Â»Fünf Jahre.«
    Â»Aber dann war Durga zu dem Zeitpunkt erst neun Jahre alt.«
    Â»Das stimmt … Aber sie hat etwas gewusst. Und es kann sein, dass sie es der Familie nie verziehen hat. Die beiden Schwestern haben einander sehr nahegestanden.«
    Â»Glaubst du, dass einer von ihnen … der Vater oder die Brüder, etwas mit dem Verschwinden der Schwester zu tun haben könnte?«
    Â»Diesem Jitu konnte man alles zutrauen. Wenn die Familie nicht so einen guten Ruf besessen hätte, wäre der Junge längst hinter Gittern gelandet. Ein absolutes Früchtchen. Ich glaube, er war auch nur ein Vetter und kein richtiger Bruder.«
    Bevor ich meine nächste Frage stellen konnte, kam Ramnath herein. Er war bereit zum Aufbruch. Gefolgt wurde er von zwei Mädchen, die mich mit ihrem aparten Äußeren überraschten. Nachdem er fort war, ging mir auf, dass Ramnaths augenscheinliche Neigung, sich Frauen gegenüber als Herr im Haus aufzuspielen, sich scheinbar nicht auf seine Töchter erstreckte. Diesen verzieh er offensichtlich einen gewissen Hang zur Magersucht und schien sie auch darauf vorzubereiten, es nicht lange in Jullundur aushalten zu müssen. Liverpool oder Birmingham stand ihnen in Leuchtschrift auf die Stirn geschrieben. Ihr kurzgeschnittenes Haar war mit modischen Strähnchen durchsetzt, und ihre schmalen Körper hatten sie in hautenge Jeans und viel zu kleine T-Shirts gezwängt. Ich war überzeugt davon, dass ihre Eltern, denen selber nie der Absprung aus dieser Stadt gelungen war, die nächsten vierzig Jahre im Leben ihrer Töchter bereits sorgfältig geplant hatten.
    Eine ihrer Töchter wolle Ärztin werden, verriet mir Amrinder, und die andere wolle Informatik studieren. Und irgendwann würden sie dann auch heiraten. Sie tat so, als erwähne sie dies nur ganz nebenbei, vergaß jedoch nicht, einfließen zu lassen, dass beide Mädchen bereits akademische Auszeichnungen aus der Schule heimgebracht hatten. Und natürlich, dass sie beinahe die klassische Gesangskunst beherrschten. Noch weitere fünf Minuten, und ich wäre im Meer ihrer Tugenden ertrunken. Im Punjab war es halt von Bedeutung, die Begabungen seiner Töchter hervorzuheben, weil die Leute sich sonst fragten, wie man denn ohne Söhne leben könne. Obwohl die beiden Teenager ja nichts dafürkonnten, merkte ich, wie meine Vorbehalte gegen ihre Eltern auch auf sie abfärbten, aber ich wollte mir das nicht anmerken lassen, also setzte ich mein wohlwollendstes Lächeln auf.
    Â»Habt ihr Durga gekannt?«, fragte ich die beiden.
    Reena, die in die gleiche Klasse ging wie Durga, verzog das Gesicht. »Sie ist immer so uncool angezogen, trägt immer diese Hosenanzüge, damit sie nur ja einen guten Eindruck macht. Und jetzt guck sich einer an, was sie angerichtet

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