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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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schalt mich selbst für meine Nervosität und betrat einen Raum, den ich für Durgas ehemaliges Zimmer hielt, denn hier saßen noch ein paar Plüschtiere herum, und auf dem Schreibtisch lagen um einen sorgfältig mit einer Staubschutzhülle abgedeckten Computer nebst einem Drucker modernster Bauart jede Menge Bücher. Wenn Durga Informatik studieren wollte, mussten ja auch ihre technischen Hilfsmittel auf dem neuesten Stand sein. Auf einem Regal über ihrem Bett standen ihre Schulbücher aufgereiht, genau, wie sie gesagt hatte. Ich zog einige davon – Literaturgeschichte, Chemie, Mathematik – hervor, legte sie auf das Bett und begann mich, neugierig geworden, im Zimmer umzusehen. Irgendwas musste sich hier doch finden lassen. Irgendetwas, was mich der Lösung des Geheimnisses um Durga und ihre Familie näherbrachte. Ich zog nacheinander sämtliche Schubladen ihres Schreibtisches auf, fand aber nichts außer Bleistiften und anderen Schreibgeräten, den üblichen Schulmaterialien eben. Ein paar Kladden – ich schlug sie auf, schüttelte sie, blätterte sie dann durch. Hatte sie Tagebuch geführt? Und wenn, wo mochte sie es aufbewahrt haben?
    Ich tastete das Bett ab. An einer Stelle spürte ich unter der Matratze eine leichte Wölbung. Ich fasste darunter und fand einen Packen Papierbögen, stellte zu meiner größten Enttäuschung jedoch sogleich fest, dass sie allesamt in Gurmukhi -Schrift beschrieben waren, wie sie zum Schreiben des Punjabi , der im Punjab gängigen Schrift, verwendet wird. Warum hatte ich mich nur, bloß um meinen Eltern die Stirn zu bieten, zeit meines Lebens geweigert, diese Schrift zu erlernen! Ich stopfte den Papierstapel in meine Handtasche und hatte dabei absolut kein schlechtes Gewissen, dass ich Beweismaterial vom Tatort entfernte, denn ich wusste ja, dass ich diese Papiere sogleich an Ramnath oder Amarjit weiterleiten würde, sowie ich sie erst einmal entziffert hatte.
    Â»Suchen Sie etwas Bestimmtes?« Ein dünner, leicht gebeugter Mann in einem Kurta Pyjama , dem klassischen Kleidungsstück indischer Männer, war in der Tür aufgetaucht. Er hatte mich auf Hindi angesprochen, nicht auf Punjabi, und in seiner Stimme schwang unüberhörbar der leichte Singsang des zur Bihari -Sprachgruppe gehörenden Bhojpuri -Dialekts mit. »Sind Sie von der Polizei?«
    Â»Nein … ja, doch, ich gehöre schon zur Polizei.« Ich war hektisch aufgesprungen und begann, die Bücher zusammenzuraffen, nachdem ich die Matratze wieder an Ort und Stelle gerückt hatte. »Ich habe Durga im Gefängnis besucht, und sie bat mich, ihr diese Bücher zu bringen.«
    Â»Was will sie denn damit anfangen, das dumme Ding? Bücher haben ihr Leben zerstört, aber sie glaubt noch immer, nicht ohne sie auskommen zu können.« Mich beschlich das Gefühl, dass er nicht vorhatte, auch nur ein einziges gutes Haar an Durga zu lassen.
    Â»So, sie lässt sich also von Ihnen besuchen. Hat sie Ihnen auch schon erzählt, wie sie sie alle umgebracht hat?«
    Â»Nein … und das wissen wir ja noch gar nicht sicher. Wer sind Sie eigentlich?«
    Â»Ich habe in diesem Haus vierzig Jahre lang gedient, und es war mein Unglück, dass ich in jener Nacht nicht umgekommen bin. Ich wünschte, ich wäre mit Sahib und Memsahib gegangen, denn welchen Sinn soll mein Leben jetzt noch haben? Durga, warum hast du das nur getan …« Tränen begannen, über seine Wangen zu strömen. »Ich habe jetzt nichts mehr, wo ich hingehen könnte. Dies hier war mein Zuhause – wo soll ich jetzt hin?«
    Er warf mir einen zornigen Blick zu und wandte sich so abrupt zum Gehen, wie er zuvor in der Tür aufgetaucht war.
    Â»Nein, warten Sie. Bleiben Sie hier. Erzählen Sie mir mehr über Durga.«
    Â»Kein Wort werde ich über diese Schlangenbrut verlieren. Wir hätten sie gleich nach ihrer Geburt umbringen sollen. Sie hat ihre Eltern aufgefressen … sie waren …« Er unterbrach sich, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
    Â»Wie waren ihre Eltern?«
    Â»Er war ein Heiliger, ein vollkommener Heiliger. Wenn sie doch nur geahnt hätten, was diese Schlangenbrut trieb …«
    Â»Was ist aus Durgas Schwester geworden?«
    Â»Wer weiß? Sie war ebenfalls eine Schlange. Ich muss jetzt gehen.«
    Ich wollte nach seinem Arm greifen, doch er entzog sich mir.
    Â»Wie ist Ihr

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