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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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kam es mir vor wie ein Garten, aus dem sämtliche Vögel eben gerade flatternd aufgeflogen waren und alles, selbst die winzigen Milben in der Luft, in Habachtstellung zu verharren schien. Bildete ich es mir nur ein, oder war dies ein Haus, das auf etwas oder auf jemanden wartete? Ich fühlte mich an die unheimlichen Szenen in alten Schwarzweißfilmen wie Madhumati erinnert – als die Hauptfigur bei einem Unwetter in einem einsamen Haus Zuflucht sucht und dort auf ihre eigene Vergangenheit stößt. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln, denn ich empfand ganz bestimmt keinerlei Verbindung zu diesem Haus, und mir kam hier auch nichts sonderbar bekannt vor. Ich begann, einige der Laken zu lüpfen, um zu schauen, was darunter zum Vorschein kam. Fast rechnete ich damit, dass gleich eine abgetrennte Hand zu Boden plumpsen würde oder ein Augapfel hervorgekullert käme – oder dass ich zumindest auf Blutflecken auf den Polstermöbeln stieße. Aber es gab keinerlei Anzeichen für das Massaker, das hier jüngst stattgefunden hatte, und wenn es welche gegeben haben sollte, dann waren sie sorgfältig ausgewaschen worden. Als ob das Blutbad, bei dem dreizehn Menschen ihr Leben verloren hatten, bloß ein kurzer Schauer gewesen wäre. Und doch meinte ich, es wenigstens noch riechen zu können, das leicht faulige Fleisch, und an den Wänden entdeckte ich auch tatsächlich noch verkohlte Stellen von dem vergeblichen Versuch, das Haus anzuzünden. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
    Ich setzte meinen Rundgang fort, betrachtete eingehend jedes einzelne Familienporträt an den Wänden. Durgas Eltern hatten tatsächlich sehr gut ausgesehen, was mich irgendwie in der Vorstellung bestärkte, die ich mir von ihnen gemacht hatte, dass es sich bei ihnen um sanfte, sympathische Menschen gehandelt haben musste. Ich fand es nur sonderbar, dass mir zwar jeder über sie erzählt hatte, was für ein hohes Ansehen sie genossen hatten, niemand jedoch ihre außerordentlich anmutigen Züge mit dem festen, aristokratischen, Ehrfurcht gebietenden Blick einer Erwähnung wert gefunden hatte. Zum Zeitpunkt ihres Todes dürften sie nicht so gepflegt und herausgeputzt ausgesehen haben wie hier mit ihren Perlenketten und edelsteinbesetzten Manschettenknöpfen – die Fotos, die ich auf dem Polizeirevier gesehen hatte, zeigten blutige, verstümmelte Leichen, und niemals hätte ich in ihnen diese kunstvoll in Szene gesetzten Menschen wiedererkannt.
    Es gab auch eine Menge Familienfotos und Einzelporträts – sowohl in Farbe als auch in Schwarzweiß. Die beiden Jungen waren auch darunter. Der ältere musste Jitu sein, er sah aus wie Mitte zwanzig. Gleich daneben hing eine etwas größere Aufnahme von ihm und Brinda, die am Tage ihrer Hochzeit entstanden sein musste. Jitu war vollständig als Bräutigam ausstaffiert, komplett mit Säbel an der Hüfte, während Brinda, deren gold- und rosafarbener Schleier bis auf den Boden reichte, sich mit einem ein wenig scheuen Lächeln nur halb der Kamera zuwandte. An ihren Händen und Unterarmen konnte man dort, wo sie nicht von ihrer roten Chooda oder dem silbrig glänzenden Brautschmuck bedeckt waren, die kunstvoll gearbeiteten Muster ihrer Henna-Tattoos erkennen. Sie war vollkommen mit Goldschmuck behängt – von ihren Ohren baumelten geradezu obszön große Klunker, die wie zwei goldene Panzerplatten ihren Busen bedeckten.
    Sonderbarerweise gab es keinerlei Fotografien von Durga oder ihrer Schwester. Zwar gab es weitere Porträtaufnahmen von Männern und Frauen, wahrscheinlich irgendwelchen Verwandten, aber was die beiden Mädchen anging, so schienen sie nie existiert zu haben. Ich schlenderte weiter durchs Haus, schaute hinter Türen und schloss sie wieder, fand aber nichts, was mich an Durga denken ließ. Ob es irgendwo ein Familienfotoalbum gab?
    Hinter mir hörte ich, wie eine Tür geöffnet wurde – doch es war nur der Wind gewesen. In der Ferne hörte ich Hunde bellen. Befanden sie sich hier auf dem Grundstück? Jemand hatte erwähnt, dass einer der drei Hunde die Mordnacht ebenfalls nicht überlebt hatte, er war mit dem Rest der Familie vergiftet worden.
    Â»Wer ist da?«, rief ich. Ich trat ans Fenster und öffnete es, um notfalls die Wachposten herbeizurufen. Aber die waren ins Gespräch vertieft und schenkten mir gar keine Beachtung. Ich

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