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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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hat!«
    Sangeeta, ihre jüngere Schwester, meldete sich etwas verhaltener zu Wort. »Ich fand die ganze Familie komisch. Sie haben Durga immer so bewacht, nie durfte sie irgendwo hingehen. Unsere Eltern sind auch streng, meine ich, aber ab und zu dürfen wir doch alleine losziehen. Man muss aber auch sagen, dass Durga sehr gut in der Schule war. Ihre Aufsätze wurden immer in der Klasse vorgelesen, aber … Wie gesagt, sie durfte nicht einmal auf Schulfeste gehen. Ich glaube, richtig schlimm ist das geworden, als ihre Schwester verschwunden war. Als wir noch kleiner waren, da war Durga ein echter Wildfang, hat immer mit ihren Brüdern Kricket gespielt. Außerhalb der Schule wollte sie unbedingt Hosen oder Shorts tragen wie sie. Ist schon komisch.«
    Â»Habt ihr mal versucht, sie zu Hause abzuholen und mit ihr zu spielen?«
    Â»Ich hab sie immer zu meinen Geburtstagspartys eingeladen«, sagte Reena. »Als wir noch jünger waren, ist sie auch ein paarmal gekommen, aber ich kann nicht behaupten, dass wir uns groß um sie gekümmert hätten. In der Schule war sie beinahe unsichtbar, fiel nur durch ihre Aufsätze auf, und niemand hat sich groß mit ihr abgegeben. Ich meine, wir haben so viel für die Schule zu tun, Hausarbeiten, Vorbereitungen auf Tests, und man hat ja schließlich auch seine eigenen Freunde. Wenn jemand sich die ganze Zeit abseitshält, beachtet man denjenigen irgendwann überhaupt nicht mehr.« Immerhin vermied es Reena, den Stab über Durga zu brechen.
    Â»Und erinnert ihr euch noch an ihre ältere Schwester?«
    Â»Ich nicht, nicht wirklich, aber ein paar von meinen Freundinnen bestimmt. Sie haben immer gesagt, dass sie unheimlich schön wäre, aber … nun, sie hat’s ziemlich mit den Jungs gehabt.«
    Amrinder zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wer hat dir das erzählt? Und wo soll sie sich mit diesen Jungs denn getroffen haben?«
    Reena wurde rot. »Ach, das waren doch bloß Gerüchte, Ma.«
    Bald darauf ging ich – kein bisschen schlauer als zuvor. Als ich aus der Tür trat, hörte ich hinter mir Amrinders exaltierte Stimme ihre Tochter noch einmal ins Gebet nehmen: Wo hatte sie dieses Gerücht gehört? Wer hatte ihr davon erzählt?
    Ich wusste, dass das Haus der Atwals sich in Company Bagh befand – der Name des Stadtteils ging auf die früheren Tage der East India Company zu Kolonialzeiten zurück. In Jullundur ist man von einem Punkt der Stadt zu einem anderen nie länger als zwanzig Minuten unterwegs, sogar bei dem atemberaubenden Schneckentempo von fünf Kilometern in der Stunde, mit dem ich mich voranzubewegen schien.
    Als die Rikscha in die Straße einbog, konnte ich das Haus gleich neben dem nicht länger genutzten Ausstellungsraum eines Autohändlers höher als alle umgebenden Gebäude aufragen sehen – genau, wie Ramnath es mir beschrieben hatte. Neben dem Eingang war ein ebenfalls nicht mehr benutzter Brunnen. Außen war es mattgelb gestrichen – zum Glück nicht grellpink –, und sämtliche Fensterläden waren geschlossen. Vor der ebenfalls verrammelten Tür standen zwei Polizisten. Nachdem ich mich ihnen gegenüber ausgewiesen und sie meine Identität über Funk nachgeprüft hatten, durfte ich durch die Tür der vorderen Veranda das Haus betreten.
    Was hatte ich erwartet? Das Haus sah alt aus, und es roch alt. Es wuchs aus der Erde wie ein Baum und hatte überall Wurzeln geschlagen. Es war nichts Vergängliches daran.
    Dieses Haus hatte Heimsuchungen über sich ergehen las sen, es hatte ihnen Jahrhunderte, ja, Äonen lang getrotzt. Auch die Pflanzen um das Haus herum machten einen trotzig gesunden Eindruck für eine so desolate Umgebung, vielleicht kamen die Bediensteten ab und zu noch einmal her. Zum Amüsement der beiden Wachtposten musste ich mich mit einer der mit Maschendraht gesicherten schweren Holztüren abkämpfen, bis ich sie endlich aufbekam. Wie es bei indischen Männern halt so üblich ist, rührten sie keinen Finger, um mir zu helfen. Wenn ich nicht alleine klarkam, musste ich eben um Hilfe bitten . Doch da ich eine dickköpfige Dilliwalli aus Delhi war, tat ich ihnen nicht den Gefallen. Diese Zeiten waren vorüber.
    Innen war das Haus besenrein gemacht worden. Abgesehen von den Laken über den Möbeln und den Bildern schien sich hier in letzter Zeit nichts verändert zu haben. Und doch

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