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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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bengalischen Damen wirklich einen ziemlichen Aufruhr verursacht haben«, sagte ich, um ihn abzulenken.
    Â»Und wie sieht’s hier aus? Wie läuft es mit Durga?« Er sprach von ihr, als wäre sie gar nicht anwesend. Sein sorgfältig gekämmtes Haar roch nach Pomade. Als ich noch näher an ihn heranrückte, konnte ich sogar sein Aftershave riechen. Brut – was denn sonst. Alles an ihm war frisch, schneidig, bereit zum Sprung.
    Â»Nun … wir haben vorerst noch einen langen Weg vor uns. Aber vielleicht sollte ich sie jetzt in Ruhe lassen. Sie wirkt müde. Ach, fast hätte ich es vergessen – ich habe dir etwas zu lesen mitgebracht, Durga.« Ich reichte ihr das Buch, das Harpreet Singh mir mitgegeben hatte.
    Sie schlug es auf, und ihre Augen begannen zu leuchten. Sie sah mich an, und ich entdeckte zum ersten Mal so etwas wie zerknirschte Dankbarkeit in ihren Augen. Ohne ein weiteres Wort und ohne Ramnath noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie den Besucherraum.
    Einen Moment lang sah Ramnath mich leicht verunsichert an. Ich stand viel zu dicht vor ihm. Ich brauchte nur den Kopf ein wenig zu neigen, dann könnte ich ihn auf seine Schulter legen. Vielleicht erwartete er tatsächlich jeden Augenblick einen Annäherungsversuch von mir. Er streckte die Hand aus und berührte meinen nackten Arm. Seine Finger fühlten sich klamm an. Ehe er etwas sagen konnte, bedachte ich ihn mit einem, wie ich hoffte, geheimnisvollen Lächeln. Als er meinen Arm wieder losließ, sah auch ich zu, dass ich rasch hinauskam – mit einem Gefühl, als wäre ich gerade aus einer Schlangengrube entkommen. Sobald der Adrenalinstoß in meinem Körper verebbt war, setzten meine Kopfschmerzen wieder ein.
    Als ich endlich wieder draußen auf der Straße war, lenkte ich meine Schritte zu einer Telefonzelle in einem Kiosk inmitten eines belebten Marktplatzes, wo mir ein Obstverkäufer in das eine und ein Gewürzhändler in das andere Ohr schrie. Die strahlende Sonne und die Normalität dieser Szene wirkten beruhigend auf mich. Wie konnten zwei so verschiedene Welten nur Seite an Seite existieren, ohne dass es eine Wechselwirkung gab und die eine der anderen unauslöschlich ihren Stempel aufdrückte?
    Ich schaute in alle Richtungen, um mich zu vergewissern, dass niemand mir gefolgt war oder in irgendwie unangemessener Weise Interesse an meiner Person zeigte: Dann zog ich die Tür der Telefonkabine hinter mir zu und wählte Binnys Nummer. In diesem Teil der Welt waren Ferngespräche nach England etwas völlig Normales, also zeigte auch der Besitzer des Kiosks keinerlei Neugier und fuhr damit fort, auf einem Bogen, den er vor sich liegen hatte, komplizierte Berechnungen durchzuführen. Es schien ein Horoskop zu werden – und da erblickte ich an der Wand der Kabine auch schon den Reklamezettel: In seiner Freizeit betätigte er sich als Hobby-Astrologe. Vielleicht wäre er der geeignete Mann, um diesen Fall endlich zu lösen!
    Binnys Stimme mit ihrem Cockney-Akzent war wie Balsam für meine Seele.
    Â»Hallo, Binny. Wie geht es dir?«
    Â»Du hast mich gerade noch rechtzeitig erreicht. Am frühen Abend fahre ich ins Krankenhaus. Zeit für’s Baby.«
    Â»Schön, deine Stimme zu hören. Nun erzähl mir mal. Du hast mir einen tüchtigen Schrecken eingejagt.«
    Â»Okay. Ich fasse mich kurz, weil meine Mutter gleich hier sein wird, um mich abzuholen, und ich dann nicht sprechen kann. Sowie sie hereinkommt, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als einfach den Hörer aufzulegen. Diese ganze Geschichte ist meinen Leuten ziemlich unter die Haut gegangen, und wenn sie mitkriegen, dass ich immer noch irgendwie darin verstrickt bin, kriegen sie’s noch mehr mit der Angst zu tun.«
    Â»Verstanden.«
    Â»Also, Rahul ist … Shardas Sohn. Sie ist ja nun schon seit Ewigkeiten weg, und ich bin ihr nie begegnet. Aber ich weiß, dass es etwas mit diesem Baby zu tun gehabt hat. Sie war ja nicht verheiratet. Ich denke, sie haben sie in irgendeine Anstalt gepackt, aber sicher bin ich mir da nicht. Es war unmöglich, in dem Haus offen darüber zu sprechen. Durga und ich mussten uns immer heimlich treffen, weil ihr Vater nicht wollte, dass sie mir zu viel erzählte. Aber verrate um Gottes willen niemandem, dass du davon weißt, dass Rahul Shardas Sohn ist. Sie haben einfach behauptet, sie hätten ihn

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