Die Ueberlebende
Während meine Mutter sich noch über sämtliche Einzelheiten auslieÃ, unterbrach ich sie so schonend wie möglich und versprach, sie später noch einmal anzurufen. Dann wählte ich Gurmits Nummer.
Als er sich meldete, klang seine Stimme zerknirscht. »Es tut mir leid wegen gestern. Ich hatte dir noch sagen wollen, dass ich von meinem Redakteur ganz schön Druck bekommen habe. Er bestand darauf, einen Exklusiv-Bericht zu drucken.«
»Gratuliere. Ich nehme doch wohl an, dass die Auflage ausverkauft ist?«
»Sieh mal, ich weiÃ, dass du damit gerne noch gewartet hättest, aber die Polizei ist sich ganz sicher, dass â¦Â«
»Danke für dein Intervenieren«, unterbrach ich ihn, »man hat sie weggebracht, und ich weià nicht einmal, wohin.«
Das schien ihn zu schockieren. »Wie bitte? Aber Ramnath hat doch zugesagt, sie mit Samthandschuhen anzufassen, weil sie so traumatisiert ist.«
»Warum hast du das von Sharda mit reingeschrieben? Hast du etwa auch das Foto von ihr abgedruckt?«
»Das nicht, aber Ramnath hat mir alle Einzelheiten davon erzählt, wie sie in Amritsar eingesperrt gewesen ist. Ich wusste ja gleich, dass irgendwas nicht stimmte, als ich das Bild bekam â¦Â«
»Du weiÃt immer noch nicht, wer dir das geschickt hat?«
»Nein.«
»Du bist mir ja vielleicht ein toller Journalist!«
»Das darfst du nicht sagen ⦠Ich habe da schon meinen Verdacht. Aber dazu müsste ich in dieser Stadt mehr Verbindungen haben. Falls es dir ein Trost ist, lass dir von mir gesagt sein, dass ich nicht glaube, dass die Geschichte damit ein Ende hat. Es ist irgendwie merkwürdig, wie Ramnath versucht hat, den ganzen Ruhm einzuheimsen. Er hat alles so arrangiert, dass wir ganz unter uns waren und er als der Held dastand. Wenn du den Fernseher einschaltest, kannst du ihn auch bewundern. Er ist auf sämtlichen Kanälen. Wenn es nach ihm ginge, wäre der Fall vom Tisch. Und er hat ihn gelöst.«
»Warum hat er Durga verlegt? Ich dachte, da hätte es eine gerichtliche Verfügung gegeben, die das nicht zulässt?«
»Die Verfügung besagt, sie ist an einem sicheren Ort zu verwahren, wo sie psychiatrische Hilfe erhält, aber nicht eingesperrt in einer Zelle zusammen mit anderen Kriminellen. Wenn sie sich aber eine Lügengeschichte über Durga zusammenschustern, können sie sie überallhin schaffen.«
»Ich werde mich morgen auf die Suche nach ihr machen. Aber ich möchte, dass du dein Handy eingeschaltet lässt â nur für den Fall, dass ich auf etwas stoÃe. Und noch etwas: Bitte hintergeh mich nicht ein zweites Mal. Du weiÃt, dass ich mir groÃe Sorgen um Durga mache. Und du weiÃt auch, dass Sharda verschwunden ist und seit fünf Jahren nicht mehr gesehen wurde. So etwas ist hier drauÃen ein Kinderspiel, und deswegen schert sich auch keiner darum.«
»Hast du mal ihren Hauslehrer gefragt?«
»Harpreet?« Den hatte ich schon gar nicht mehr auf meiner Liste.
»Er hat Ramnath angerufen, während wir das Interview machten. Er braucht Hilfe bei der Beschaffung eines Visums für England.«
»Und? Hat er auch verraten, was er da will?«
Darüber wusste Gurmit nichts. Ich musste an diese durchdringenden grünen Augen denken, an das schöne, gütige Gesicht. Ich war ganz kribbelig geworden, als ich ihn zum ersten Mal sah â dieses perfekte Beispiel eines intelligenten, idealistischen Menschen ⦠eines Menschen, der sogar unglücklich heiratete, um seine Ideale hochzuhalten. Aber gab es in diesem Kaff überhaupt jemanden, der ehrlich seine Beweggründe für etwas nannte oder wenigstens seine Motive durchblicken lieÃ?
»Würdest du mir einen Gefallen tun, Gurmit? Falls du noch in deinem Büro bist, könntest du dann im Internet nachschauen, ob es je einen Zeitungsartikel über Harpreet Singh gegeben hat? Ich möchte es einfach nur so mal wissen. Rufst du mich zurück?«
Sein Rückruf kam nach zehn Minuten. Nichts über Harpreet. Also hatte Durga mich angelogen, als sie behauptete, sie hätte in der Zeitung über die Hintergründe seiner EheschlieÃung gelesen. Es war aber auch eine zu herzzerreiÃende Geschichte, von der ein junges Mädchen nicht unberührt bleiben konnte. Mein eigenes fünfundvierzigjähriges Herz pochte vor Eifersucht â einer Eifersucht, von der ich gar nicht gewusst hatte,
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