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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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gleich erfuhr, ob es irgendwelche wichtigen Neuigkeiten gab. Zum Glück gab es heute früh nichts bis auf einen Anschlag in Bangalore oder Bengaluru, wie es jetzt genannt wird. Was bedeutet, dass ich vermutlich noch einige weitere Tage nicht mit Amarjit werde sprechen können.
    Ich habe aus meinem Zimmer sorgfältig alles weggeräumt, was nicht für fremde Augen bestimmt ist. Meine sämtlichen Notizen und Unterlagen würde ich ab jetzt ständig bei mir haben. Ich war mir inzwischen auch ziemlich sicher, dass der Internetanschluss absichtlich unterbrochen worden ist, denn er funktionierte nun schon seit drei Tagen nicht mehr. Heute Morgen hatte ich keine Zeit, mich auf die Suche nach einem Internetcafé zu begeben. Darum habe ich Gurmit angerufen, ihm mein Passwort genannt und ihn gebeten, meine Mails abzurufen. Er versprach mir, gleich nachzusehen, sobald er im Büro sein würde.
    Mit Sicherheit würde mein Zimmer durchsucht werden, sowie ich fort war. Als ich gestern vom Gefängnis zurückkam, war mir aufgefallen, dass ein paar Akten oben auf meinem Koffer lagen anstatt darin, wo ich sie eigentlich aufbewahrte. Das hat meinen Verdacht erweckt. Ich stellte mir Ramnath vor, wie er hier hereinkommt und beim Anblick der ganzen leeren Flaschen in der Ecke grinst. Er war bestimmt neugierig darauf, was ich herausgefunden hatte. Vielleicht würde er sogar enttäuscht sein, weil es nur so wenig ist. Ich stellte mir auch vor, wie er mit Amrinder und Ma Sukhi Witze über mich riss. Wie wunderbar es doch für sie wäre, wenn sie mich einfach wieder loswerden könnten. Wie beim letzten Mal.
    Ja, sie und ihre Mutter hatten ihm bestimmt von mir erzählt. Die dumme, dumme Simran, sie war schon immer ein bisschen komisch. Und ziemlich nachlässig. Trotzdem brauchte man sich um sie nie Sorgen zu machen. Hättest du gedacht, dass sie einmal fast die Goldmedaille als Jahrgangsbeste bekommen hätte? Aber sie ist ja doch so ein Dummerchen. Als die letzte Projektarbeit der Schule an den Zweitgutachter geschickt wurde, stellte sich heraus, dass ihr Essay und der einer Mitschülerin Wort für Wort übereinstimmten. Und weißt du, was? Ma Sukhi war zufällig die Zweitkorrektorin. So sind wir dahintergekommen. Und dann lagen die beiden Arbeiten nebeneinander da, und es war nicht auszumachen, wer von wem abgeschrieben hatte. Da war es nichts mit der Goldmedaille für die arme Simran, die ging stattdessen an – na, du weißt schon. Ich war auch mit dabei im Büro der Mutter Oberin, um keinen Preis der Welt hätte ich mir das entgehen lassen mögen. Ich sah sie stottern und stammeln, aber sie brachte kein Wort hervor.
    Simran, das Dummerchen, konnte nichts sagen, weil das Mädchen, das ihre Arbeit abgeschrieben hatte, zufällig ihre beste Freundin war. Es war eine dumme Sache unter Schülern, ein Vergehen, bei dem man normalerweise beide Augen zugedrückt hätte. Aber es ging immerhin um eine begehrte Auszeichnung, also konnte man das Ganze nicht einfach unter den Teppich kehren. Und die dumme, dumme Simran hatte weder den Mut, ihre Freundin deswegen zur Rede zu stellen, noch den Mumm, in der Schule zu sagen, dass ihre Freundin ihr Essayheft versehentlich eingesteckt und dann für ein paar Tage »ausgeborgt« hatte. Das wäre ihr gegen den Strich gegangen. Was war denn schon so wichtig an einer Goldmedaille? Nun, immerhin war sie der Preis für die verdammt harte Arbeit in der Schule. Und es hätte ihr schon etwas bedeutet, ihrem Vater diese Auszeichnung zeigen zu können. Ein paar Monate später war er nämlich tot.
    Die dumme Simran hat es danach immer wieder versucht, es auf irgendeine Weise an ihrem sehr weit entfernten und sehr toten Vater wiedergutzumachen, tat alles, wovon sie glaubte, dass es ihm gefallen hätte, betätigte sich als Sozialarbeiterin, gewöhnte sich ihren frugalen Lebensstil an. Wie schon gesagt – ein dummer Fehler hat ihr ganzes Leben verändert.
    Ich war eine begabte, vielversprechende Schülerin gewesen. Nun war aus mir eine Schummlerin geworden, die verschämt durch die Korridore der Schule schlich. Amrinder sorgte dafür, dass es überall die Runde machte. Zwar blieben Zweifel – niemand konnte so recht glauben, dass ich abgeschrieben hatte, denn jeder wusste, wie intelligent ich war, und außerdem war der Essay ganz in meinem Stil verfasst, aber in einer kleinen Provinzschule gibt es nicht

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