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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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sollen, doch stattdessen war sie, wie Tausende anderer Frauen, denen sich zu jener Zeit kaum eine Wahl bot, die Gattin eines mittellosen Flüchtlings geworden. Also schuftete mein Vater mit der Entschlossenheit eines Mannes aus dem Punjab und machte unglaublich viele Überstunden, um sich sein kleines Imperium aufzubauen.
    Als ich etwas älter wurde und er starb, überkam mich ein tiefes Schamgefühl dabei, sein Geld auszugeben, ohne es ihm auf irgendeine Weise zu vergelten. Seine Garderobe hatte aus drei Paar Hosen und sechs Hemden bestanden, die meiner Mutter aus fünf enormen Schränken voller Kleidung, die sie eifrig zusammengetragen hatte, um für jede Mode und jede Saison gerüstet zu sein. Mein Vater hatte nie Zeit, fernzusehen, eine Ferienreise zu unternehmen oder Golf zu spielen. Meine Mutter verbrachte ihre Zeit beim Nachmittagstee mit den Damen, beim Pferderennen, im Golfklub und im Schönheitssalon. Sie kaufte Schmuck, wie andere Leute Gemüse kaufen – das war für sie kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit. Als ich sie in teuren, hochhackigen Schuhen herumstöckeln sah, wusste ich, dass ich nie in ihre Fußstapfen treten würde – und dass sie mir das immer nachtragen würde.
    Aus mir hatte das hübscheste, klügste und begehrenswerteste Mädchen der ganzen Stadt werden sollen – doch stattdessen entschloss ich mich, eine in Khaki gekleidete, unansehnliche, ehrenamtlich tätige Philanthropin zu werden. Der absolute Tiefschlag kam, als ich die Millionen meines »Verflossenen« in den Wind schoss.
    So manche meiner Eigenarten hatte mit der Erinnerung an meinen Vater zu tun. Doch mein Gott, wie lange das doch her zu sein schien …
    Ich versuchte es noch einmal an meinem Computer, aber die Verbindung war immer noch gestört, obwohl der Hausmeister mir versicherte, er hätte sich bereits beschwert. Also lud ich endlich mein Handy auf und schenkte mir ein Bier ein. Morgen würde ein schwieriger Tag werden, denn ich hatte ja keine Ahnung, wohin man Durga gebracht hatte. Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, einfach Ramnath anzurufen. Wenn er auflegte oder es zu einem Streit zwischen uns kam, wäre ich offiziell für immer und ewig aus diesem Fall raus.
    Sowie ich mein Handy einschaltete, klingelte es schon. Meine Mutter.
    Sie klang ganz aufgeregt. »Ich habe die Anzeige in die Zeitung gesetzt, und du hast schon drei Angebote.«
    Â»Drei bloß?« Ich lehnte mich zurück und nahm einen großen Schluck von dem kalten Bier. Es war erst früher Vormittag, aber ich brauchte etwas, um mich zu beruhigen. Außerdem wusste ich, dass dies ein längeres Gespräch werden würde. Wie konnte ich meine Mutter abwürgen, ohne dass ihr Blutdruck in die Höhe schoss?
    Â»Ist das nicht großartig, Schatz?« – so hatte sie mich seit sechs Jahren nicht mehr genannt –, »eines davon hört sich richtig vielversprechend an. Er ist geschieden, mit drei Kindern, lebt aber heute in den Staaten. Er wünscht sich ein schlichtes indisches Sikh-Mädchen. Er schreibt zwar, dass sie hellhäutig sein sollte, aber ich denke, wenn er dich sieht, wird er merken, dass ihm das gar nicht wichtig ist.«
    Â»Natürlich soll es sich so anhören, als wäre er im Himmel erschaffen und wir wären das perfekte Paar. Aber vielleicht sollte er auch mal einen Hinweis auf seine Hautfarbe geben?«
    Â»Nun sei bloß nicht so von oben herab. Hattest du vielleicht geglaubt, dass Brad Pitt dir schreibt?«
    Â»Mutter, warum wartest du nicht noch ein paar weitere Briefe ab? Ich komme bald wieder nach Hause, und dann haben wir viel Zeit, um all diesen reizenden Männern zu antworten, nicht wahr?«
    Vielleicht klappte es, wenn ich gute Stimmung machte.
    Â»Weißt du, ich habe über deinen Fall gelesen. Die ganze Sonntagsausgabe war ja voll davon. Für mich sieht es so aus, als wäre das Mädchen es gewesen. Alleine schon, dass ihre ältere Schwester in der Irrenanstalt gesessen hat … Ich erinnere mich auch, gelesen zu haben, dass sie wohl mental sein muss.« »Mental« bedeutete im Punjabi-Englisch so viel wie geistesgestört. Mein Bier fing an, nach Pferdepisse zu schmecken.
    Ich setzte mich aufrecht hin und stellte das Glas beiseite. Da liest man einen einzigen Tag mal keine Zeitung, und schon bekommt man solche Neuigkeiten zu hören. Nun schwante mir, wohin sie Durga gebracht hatten.

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