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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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zuvor. Doch nur für einen kurzen Augenblick. Während Nicolson hinsah, wurden die züngelnden Flammen niedriger und sanken in sich zusammen, und von allen Seiten rückten die dunklen Schatten vor. Nicolson wandte den Blick von der letzten Glut und beugte sich hinunter zu van Effen, um ihm etwas zu sagen. Doch van Effen war bewußtlos.
    Langsam, mühsam richtete sich Nicolson auf, blieb aber auf den Knien liegen und starrte hinunter auf den schwerverwundeten Mann, der vor ihm lag. Wie eine zurückflutende Welle waren plötzlich die Erschöpfung, die Verzweiflung und der heftige, brennende Schmerz an seinen Armen, Beinen und Füßen wieder da. Die Versuchung, sich fallenzulassen in die Dunkelheit, in die tröstliche Bewußtlosigkeit, die ihn wie mit freundlich ausgebreiteten Armen erwartete, war fast übermächtig. Er begann bereits, auf den Knien nach vorn und hinten zu schwanken, seine Augen waren fast geschlossen, und seine Arme hingen schlaff herab, als er eine laute, schreiende Stimme hörte, das Geräusch von Füßen, die in wilder Eile über das Kampong herangelaufen kamen. Im nächsten Augenblick spürte er, wie sich die Finger einer großen Hand mit grausamer Heftigkeit in die rot verbrannte Haut seines Oberarms preßten.
    »Kommen Sie, Sir, kommen Sie! Stehen Sie auf, um Gottes willen!« Es war McKinnons Stimme, und in ihrem Klang war eine Wildheit, eine brennende Verzweiflung, wie sie Nicolson noch nie gehört hatte. »Sie haben sie mitgenommen, Sir. Diese gelben Teufel haben sie mitgeschleppt!«
    »Was denn?« Nicolson schüttelte seinen schmerzenden, benommenen Kopf hin und her. »Was haben sie mitgenommen? Die Pläne, die Diamanten? Von mir aus, die gönne ich –«
    »Zur Hölle mit den Diamanten!« McKinnon schrie, wie Nicolson ihn noch nie hatte schreien hören, und schluchzte dabei. Seine Augen waren tränenüberströmt, er hatte die großen Hände krampfhaft zu Fäusten geballt und war völlig rasend, von Sinnen vor Wut. »Es handelt sich nicht nur um die Diamanten, Sir. Ich wünschte bei Gott, es wäre so. Diese gelben Teufel haben Geiseln mitgenommen. Ich habe gesehen, wie sie sie in ihren Lastwagen verfrachteten – den Kapitän, Miss Drachmann und den armen, kleinen Jungen.«

Fünfzehntes Kapitel
    J enseits des Zornes liegt die Wut, die rasende, sinnlose Wut des Berserkers, und noch weiter dahinter, wenn man die Grenze der Raserei längst hinter sich gelassen hat, liegt die Region der kalten Indifferenz, einer völligen, absoluten Gleichgültigkeit. Wer diese Region betritt, der ist nicht mehr er selbst. Er ist außerhalb seiner selbst, steht unbeteiligt neben sich, für ihn hat der Sittenkodex seine Gültigkeit verloren, sein normales Denken und Fühlen hat aufgehört, er lebt in einer Welt, in der Worte wie Furcht und Gefahr, Schmerz und Erschöpfung ihre Bedeutung verloren haben, unverständliche Begriffe geworden sind. Es ist ein Zustand, dessen charakteristisches Merkmal eine abnorm gesteigerte geistige Klarheit ist, ein Zustand, in dem man die Gefahr mit gesteigerter Deutlichkeit wahrnimmt und sie auf eine unmenschliche Weise mißachtet. Und noch entscheidender wird dieser Zustand charakterisiert durch ein äußerstes Maß an Unerbittlichkeit. In einem solchen Zustand befand sich Nicolson um halb neun Uhr am Abend dieses Tages in der zweiten Hälfte des Februar, wenige Sekunden, nachdem McKinnon ihm berichtet hatte, daß Gudrun und Peter verschwunden waren.
    Sein Kopf war sehr klar, unnatürlich klar sogar, während er rasch die Situation überdachte, soweit sie ihm bekannt war, die gegebenen Möglichkeiten und die einzukalkulierenden Wahrscheinlichkeiten überschlug und in fieberhafter Eile den einzigen Plan entwickelte, bei dem irgendeine Hoffnung auf Erfolg bestand. Die Müdigkeit, seine völlige körperliche Erschöpfung, war von ihm abgefallen wie ein Mantel. Er war sich klar darüber, daß diese Veränderung nicht physiologischer, sondern psychologischer Natur war, und daß er später schwer dafür würde bezahlen müssen. Doch das war unwichtig, er hatte die seltsam sichere Gewißheit, daß diese neugewonnene Energie, ganz gleich, aus welcher Quelle sie stammen mochte, solange vorhalten würde, bis er sein Ziel erreicht hatte. Er registrierte zwar noch immer die heftigen Verbrennungen an seinen Armen und Beinen, den Schmerz in der Kehle, in die das japanische Bajonett so tief eingedrungen war, doch er registrierte es nur ganz am Rande. Die Wahrnehmung dieser Dinge war nichts

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