Die Überlebenden der Kerry Dancer
Wäre es dunkler gewesen, so hätte er wirklich nichts mehr gesehen. Doch der grelle, rote Schein der lodernden Flammen leuchtete fast so hell wie die Sonne am Mittag.
Es war nicht schwer, van Effen zu sehen. Er war an der noch intakten hinteren Wand zusammengesunken und hockte dort, auf den einen Ellbogen gestützt, am Boden. Sein Khakihemd und seine Drillichhosen waren blutgetränkt, sein Gesicht war aschgrau. Keuchend, krampfhaft und vergeblich nach Luft schnappend, lief Nicolson taumelnd und so schnell er konnte quer durch das Versammlungshaus hinten zu der Wand hin, an der van Effen lag. Er war sich klar darüber, daß er sich beeilen mußte, daß er es nur kurze Zeit in dieser Hitze aushalten konnte, höchstens eine halbe Minute. Seine Kleidung begann bereits zu schwelen und an den Rändern rötlich zu glimmen. Seine gequälten Lungen waren nicht imstande, seinem Körper, dessen Kräfte rapide schwanden, den notwendigen Sauerstoff zuzuführen, und die Hitze schlug ihm entgegen wie aus der offenen Tür eines Hochofens.
Van Effen sah ihn mit trübem Blick an, und seine ausdruckslose Miene ließ keinerlei Reaktion erkennen. Vermutlich schon halb tot, dachte Nicolson. Es war ohnehin ein Wunder, daß sich dieser Mann hier drin so lange hatte am Leben erhalten können. Er beugte sich zu ihm hinunter und versuchte, van Effens Finger von dem Karabiner zu lösen. Doch vergeblich, die Hand war so fest um das Metall geschlossen wie ein Eisenband. Es war keine Zeit mehr zu verlieren, es war vielleicht schon zu spät. Keuchend und mit letzter Kraft nahm Nicolson, dem der Schweiß in Strömen über den erhitzten Körper lief, den Verwundeten in die Arme und hob ihn mit übermenschlicher Anstrengung in die Höhe.
Er hatte die Hälfte des Weges zurück zur Tür hinter sich gebracht, als ihn ein berstendes Krachen, lauter noch als das laute Prasseln der Flammen, rechtzeitig haltmachen ließ, während mehrere brennende, rauchende Balken vom Dach herabstürzten und in einer Wolke sprühender Funken und glühender Asche knapp einen Meter vor ihm auf die Erde schlugen. Der Weg zur Tür war blockiert. Nicolson warf den Kopf in den Nacken und starrte aus brennenden, schweißüberströmten Augen nach oben, erhaschte ein rasches, undeutliches Bild des sich neigenden, einstürzenden Daches, das schon im Begriff war, auf ihn zu fallen, und wartete nicht länger. Mit vier schweren, taumelnden Schritten setzte er über die brennenden Balken hinüber, die zwischen ihm und der Tür lagen. Diese vier Schritte waren eine Ewigkeit. Der knochentrockene Stoff seiner Drillichhosen fing sofort Feuer und brannte wie Zunder, die Flammen liefen so rasch und so hoch seine Beine hinauf, daß er ihre gierigen Zungen brennend an den nackten Unterarmen spürte, mit denen er den halb bewußtlosen van Effen trug. Wie mit glühenden Schwertern schnitt ihm die Hitze in die Fußsohlen, und der ekelerregende Gestank versengten Fleisches stieg ihm in die Nase. Es wurde schwarz vor seinen Augen, seine Kräfte waren am Ende, die Zeit stand still, und der Raum begann sich um ihn zu drehen, als er fühlte, wie eilige Hände ihn an Armen und Schultern ergriffen und nach draußen zogen in die kühle, süße, lebenspendende Luft des Abends.
Nichts wäre einfacher gewesen, als van Effen abzugeben an die Arme, die sich ihm entgegenstreckten, sich zu Boden fallen zu lassen und die Woge der nahenden Ohnmacht über sich zusammenschlagen, sich von ihr davontragen zu lassen in das tröstliche Vergessen. Die Versuchung war fast unwiderstehlich. Doch er tat weder das eine noch das andere, sondern stand einfach breitbeinig da und schlürfte in riesigen Zügen die Luft in seine Lungen, die nur einen Bruchteil von dem fassen zu können schienen, was sie brauchten. So blieb er sekundenlang stehen, und allmählich wurde es klarer vor seinen Augen. Der zitternde Krampf in seinen Beinen lockerte sich, und er erkannte Walters, Evans und Willoughby, die um ihn herumstanden. Doch er beachtete sie nicht, sondern ging zwischen ihnen hindurch und trug van Effen über das Kampong in den Schutz der nächsten in Luv des Brandes gelegenen Hütte. Langsam, mit unendlicher Behutsamkeit, legte er den Verwundeten auf die Erde und begann, das durchlöcherte, blutbefleckte Hemd aufzuknöpfen. Van Effen griff mit schwachen Händen nach seinen Handgelenken.
»Sie verschwenden Ihre Zeit, Mister Nicolson.« Seine Stimme war nur ein schwaches Gemurmel, gedämpft durch Blut und kaum zu hören bei dem
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