Die Überlebenden der Kerry Dancer
Stimme durch den fallenden Regen. »Wer da?«
»Farnholme – wer denn sonst.« Er hörte, wie der Mann im Heck ein Kommando gab und die Matrosen sich erneut in die Riemen legten. »Van Effen?«
»Ja, van Effen.«
»Mann, das ist gut!« Die Wärme in Farnholmes Stimme war zweifellos echt. »Noch nie in meinem ganzen Leben hat mich der Anblick irgendeines Menschen so gefreut. Was war denn los?« Das Boot war inzwischen auf fünf Meter heran, und sie konnten sich in normaler Lautstärke unterhalten.
»Nichts Besonderes.« Der Holländer sprach ein perfektes Umgangsenglisch, mit einer kaum hörbaren Spur von Akzent. »Unser ehrenwerter Kapitän hatte beschlossen, doch lieber nicht auf Sie zu warten, und war tatsächlich schon losgefahren, bevor ich ihn dazu überreden konnte, es sich noch einmal anders zu überlegen.«
»Ja – aber wie wollen Sie wissen, daß die Kerry Dancer nicht losfährt, ehe Sie wieder an Bord sind? Mein Gott, van Effen, Sie hätten doch besser jemand anderen herschicken sollen. Diesem Schurken ist nicht von zwölf bis Mittag zu trauen.«
»Ich weiß.« Van Effen, die Hand an der Ruderpinne, steuerte das Boot an die Kaimauer heran. »Sollte das Schiff abfahren, dann fährt es ohne den Kapitän. Der sitzt nämlich hier unten im Boot, die Hände auf dem Rücken gebunden und meine Pistole im Genick. Ich schätze, Kapitän Siran ist nicht sonderlich glücklich.«
Farnholme leuchtete mit der Taschenlampe nach unten. Ob Kapitän Siran glücklich war oder nicht, war nicht zu erkennen, doch es war unverkennbar Kapitän Siran. Sein glattes braunes Gesicht war so ausdruckslos wie immer.
»Und um ganz sicher zu gehen«, fuhr van Effen fort, »habe ich die beiden Maschinisten gefesselt in der Kabine von Miss Plenderleith untergebracht – habe ihnen eigenhändig, so darf ich wohl sagen, Hände und Füße zusammengebunden. Es dürfte ihnen schwerfallen, zu entwischen. Die Tür ist abgeschlossen, und drin bei ihnen sitzt Miss Plenderleith, mit einer Pistole in der Hand. Sie hat noch nie mit so einem Ding geschossen, doch sie meinte, sie sei durchaus bereit, es zu versuchen. Die alte Dame ist großartig, Farnholme.«
»Sie denken wirklich an alles«, sagte Farnholme anerkennend. »Wenn nur nicht –«
»Schon gut, das genügt! Machen Sie Platz, Farnholme.« Parker stand neben ihm und ließ den hellen Strahl seiner Taschenlampe nach unten in die aufwärts gerichteten Gesichter fallen. »Lassen Sie den Unsinn!« sagte er mit scharfer Stimme, als van Effen die Hand mit der Pistole hob. »Stecken Sie das Ding weg – wir haben hier ein Dutzend Gewehre und Maschinengewehre, deren Läufe auf Sie gerichtet sind.«
Langsam ließ van Effen die Hand mit der Pistole sinken und warf Farnholme einen finsteren Blick zu.
»Das haben Sie großartig gemacht, Farnholme«, sagte er langsam. »Ein Meisterstück von Hinterlist, auf das Kapitän Siran stolz sein würde.«
»Es war keine Hinterlist«, protestierte Farnholme. »Das hier sind britische Soldaten, unsere Freunde, und außerdem hatte ich gar keine Wahl. Ich kann Ihnen erklären –«
»Schweigen Sie!« fuhr ihm Parker ins Wort. »Ihre Erklärungen können Sie später abgeben.« Er sah hinunter auf van Effen. »Wir kommen mit, ganz gleich, ob Ihnen das nun lieb ist oder nicht. Übrigens, das ist ein Motorboot, was Sie da haben. Warum haben Sie die Riemen benutzt?«
»Das ist doch klar – um kein Geräusch zu machen. Hat sich ja auch als außerordentlich zweckmäßig erwiesen«, setzte van Effen verbittert hinzu.
»Werfen Sie den Motor an«, befahl Parker.
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das tue!«
»Möglich, daß er Sie holt. Doch wenn Sie es nicht tun, dann sind Sie wahrscheinlich in den nächsten Sekunden ein toter Mann«, sagte Parker. »Sie machen einen intelligenten Eindruck, van Effen. Sie haben Augen und Ohren und sollten sich darüber klar sein, daß Sie es mit Leuten zu tun haben, die zum Äußersten entschlossen sind. Was soll da noch diese kindische Auflehnung?«
Van Effen sah ihn sekundenlang schweigend an, dann nickte er, drückte Siran die Pistole in die Rippen und gab einen Befehl. Innerhalb einer Minute war der Motor angesprungen und tuckerte gleichmäßig vor sich hin, während der erste Verwundete auf die Duchten hinuntergelassen wurde. Und eine halbe Stunde später befanden sich alle Männer und Frauen, die am Kai gestanden hatten, an Bord der Kerry Dancer. Das Boot hatte zweimal fahren müssen, aber die Strecke war
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