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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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befanden, hin und her wandern. Das bedeutete nichts – Findhorn wäre niemals auf die Idee gekommen, den Rudergänger, den Bootsmann oder den Vierten Offizier zu einer Lagebesprechung hinzuzuziehen. »Ich vermag nichts zu entdecken, was es gerechtfertigt erscheinen ließe, das Schiff, die Ladung und unser Leben für eine so ungewisse Sache aufs Spiel zu setzen.«
    Niemand sagte etwas, niemand bewegte sich. Das Schweigen war wieder da, lastend, bedeutungsschwer und undurchdringlich. Die Luft war unbewegt und sehr dünn – vielleicht ein Hinweis auf den nahenden Sturm. Nicolson lehnte am Flaggenkasten, die vom Mützenrand verdeckten Augen sahen nach unten auf seine verschränkten Hände; die anderen sahen den Kapitän an, und sie zuckten nicht mit der Wimper; die Viroma war inzwischen noch weiter vom Kurs abgefallen, zehn Strich, vielleicht auch zwölf, und fiel gleichmäßig immer weiter ab.
    Kapitän Findhorns wandernder Blick machte schließlich bei Nicolson Halt. Als er jetzt seinen Ersten Offizier ansah, war der abwesende Ausdruck in den Augen des Kapitäns verschwunden.
    »Nun, Mister Nicolson?« fragte er.
    »Sie haben natürlich vollkommen recht, Sir.« Nicolson hob den Blick und sah durch das Fenster hinaus auf den Fockmast, der sacht hin und her schwankte, während sich die Viroma in der stärker werdenden Dünung hob. »Die Wahrscheinlichkeit ist tausend zu eins, daß es sich um eine Falle handelt – oder daß das Schiff, falls es keine Falle sein sollte, inzwischen mit Mann und Maus gesunken ist – oder daß Mannschaft und Passagiere, so oder so, verschwunden sind.« Er sah ernst zu dem Rudergänger hin, dann auf den Kompaß, und richtete den Blick wieder auf Findhorn. »Da wir aber, wie ich sehe, bereits zehn Strich vom Kurs abgefallen sind und weiter nach Steuerbord drehen, könnten wir schließlich auch, um nichts zu versäumen, genauso gut weiter nach Steuerbord abdrehen. Der Kurs wäre ungefähr 320, Sir.«
    »Ich danke Ihnen, Mister Nicolson.« Findhorn entließ seinen Atem in einem langen, kaum hörbaren Seufzer. Er ging zu Nicolson hinüber und hielt ihm sein geöffnetes Zigarettenetui hin. »Für dieses eine Mal – zum Teufel mit den Vorschriften. Mister Vannier, Sie haben die Position der Kerry Dancer. Rechnen Sie bitte den Kurs für den Rudergänger aus.«
    Langsam und stetig nahm der große Tanker die Nase herum und ging auf nordwestlichen Kurs, zurück in Richtung Singapur, mitten hinein in den aufziehenden Sturm.
    Tausend zu eins, so hätte Nicolson gewettet, und der Kapitän hätte ihn darin bestärkt und die Chancen sogar noch niedriger angesetzt – und sie hätten sich beide geirrt. Es war keine Falle, die Kerry Dancer war noch nicht gesunken, und die Menschen darauf waren auch nicht von Bord gegangen – nicht alle.
    Sie schwamm noch, um zwei Uhr an diesem schwülen, stickigen Nachmittag des 15. Februar 1942; doch sie machte nicht den Eindruck, als ob sie noch lange schwimmen würde. Sie lag mit schwerer Schlagseite tief im Wasser und hing so stark nach Steuerbord über, daß die Reling des Seitendecks ins Meer tauchte, darin verschwand und wieder auftauchte, während die lange, niedrige Dünung das schrägstehende Deck überspülte und wieder zurückrollte, wie Wogen, die sich am Strand brechen.
    Der Fockmast war über Bord gegangen, etwa sechs Fuß hoch über Deck abgebrochen; ein dunkles, gähnendes Loch, aus dem noch immer ein wenig Rauch hochstieg, zeigte die Stelle, wo der Schornstein gesessen hatte, und die Brücke war nicht mehr zu erkennen, ein Trümmerhaufen aus verbogenen Stahlplatten und zerrissenen Bandeisen, der sich als wirrer, surrealistischer Umriß vor dem ehernen Himmel abhob. Das Logis auf dem Vorschiff – das Mannschaftsquartier – sah aus, als sei es mit einem gigantischen Dosenöffner aufgemacht worden, von den Ankern, den Winden am vorderen Ladebaum war keine Spur zu entdecken; diese Beschädigung des Vorschiffs war offensichtlich durch eine Bombe entstanden, die die dünnen Stahlplatten des Decks durchschlagen hatte und erst tief im Innern des Schiffes explodiert war. Und keiner von denen, die sich in diesem Augenblick dort aufgehalten hatten, konnte irgend etwas davon begriffen haben, da der tödliche Luftdruck sehr viel rascher arbeitete als das Bewußtsein. Die Holztäfelung der Unterkünfte auf dem Hauptdeck und den oberen Decks war vollständig ausgebrannt, und deutlich schienen Himmel und Meer durch das geschwärzte, verbogene Gebälk.
    Es

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