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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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entsprechend weit nach unten verlagert ist; zwar schlingert er deshalb nicht weniger, worauf es aber ankommt, ist nicht, wie heftig ein Schiff schlingert, sondern ob es sich wieder aufrichtet. Und ein Tanker tut das immer. Kapitän Findhorn wußte das nur zu gut. Er hatte Tanker durch Taifune gesteuert, die weit schlimmer waren als dieser, und nicht nur durch den äußeren Rand des Sturmes, wo er sich jetzt befand, sondern durch das Zentrum. Nein, um die Viroma machte sich Kapitän Findhorn keine Sorgen.
    Und genausowenig machte er sich Sorgen um seine eigene Person. Es gab in Kapitän Findhorns Leben nichts mehr, worum er sich hätte Sorgen machen können; es gab eine ganze Menge, worauf er zurückblicken konnte, aber nichts, was er noch zu erwarten gehabt hätte. Weder das Meer noch seine Firma hatten ihm, dem dienstältesten Kapitän der Britisch-Arabischen-Tankerreederei, irgend etwas zu bieten außer zwei weiteren Dienstjahren, nach denen er sich mit einer auskömmlichen Pension zur Ruhe setzen würde. Wo aber sollte er hin, wenn er sich pensionieren ließ? Das Haus, das in den letzten acht Jahren sein Zuhause gewesen war, ein bescheidener Bungalow an der Bukit-Timor-Road, außerhalb von Singapur, war Mitte Januar ausgebombt worden. Seine beiden Söhne, die immer behauptet hatten, jeder, der zur See fahre, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sollte sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen, hatten sich bei Kriegsausbruch zur R.A.F. gemeldet und waren beide mit ihren Maschinen abgestürzt, der eine über Flandern, der andere über dem Kanal. Seine Frau Ellen hatte ihren zweiten Sohn nur um wenige Wochen überlebt. Kardiale Insuffizienz, hatte der Arzt festgestellt; ein medizinischer Ausdruck, der ziemlich genau dasselbe besagte wie ein gebrochenes Herz. Kapitän Findhorn hatte nichts, wirklich nichts mehr auf dieser Welt, um das er sich hätte Sorgen machen können – soweit es sich um seine eigene Person handelte.
    Doch Egoismus in irgendeiner Form lag nicht in Kapitän Findhorns Natur. Die Tatsache, daß sein Leben inhaltslos geworden war, hatte sein Verantwortungsgefühl für die anderen, die noch viel vom Leben zu erwarten hatten, nicht gemindert. Er dachte an die Männer, die seinem Kommando unterstellt waren, Männer, die im Gegensatz zu ihm Eltern hatten und Kinder, Frauen und Bräute. Und er fragte sich, welche moralische Rechtfertigung es eigentlich dafür gab, wenn er jetzt das Leben dieser Männer, die keine Soldaten waren, aufs Spiel setzte, indem er umkehrte und mit dem Schiff dorthin fuhr, wo der Feind war. Außerdem machte er sich Gedanken über das Öl unter seinen Füßen, und wodurch es wohl gerechtfertigt sei, eine Fracht von unschätzbarem Wert, die sein Land so dringend benötigte, in Gefahr zu bringen. Und schließlich dachte er, und zwar mit ganz besonderer Intensität, über den Mann nach, der in den letzten drei Jahren sein Erster Offizier war, John Nicolson.
    Was für ein Mensch dieser Nicolson war, hatte er bisher nicht ergründen können. Kapitän Findhorn hielt Nicolson, der als nächster zur Beförderung zum Kapitän bei der Reederei anstand, für den befähigsten Offizier, mit dem er es in seinen dreißig Jahren als Kapitän zu tun gehabt hatte. John Nicolson beging nie einen Fehler, traf in jeder Lage, die fachmännisch korrektes Handeln erforderte, die richtige Entscheidung, und übertraf sich selbst, wenn fachmännisch korrektes Handeln nicht mehr genügte. Seine Tüchtigkeit war geradezu unmenschlich. Ja, dachte Findhorn, unmenschlich, das war es, das war die andere Seite seines Charakters. Nicolson war für gewöhnlich höflich, rücksichtsvoll, ja sogar von einer humorigen Leutseligkeit; doch dann konnte es wie eine seltsame Wetterveränderung über ihn kommen, und auf einmal war er kühl, verschlossen, abweisend – und von einer unmenschlichen Härte.
    Es mußte eine Verbindung zwischen diesen beiden Nicolsons geben, einen Übergang, etwas, das aus der einen Persönlichkeit die andere werden ließ. Doch was das war, das wußte Kapitän Findhorn nicht. Er war sich nicht einmal klar über die Beschaffenheit des zarten Bandes, das zwischen ihm und Nicolson bestand; er stand Nicolson nicht nahe, doch er vermutete, daß er ihm näher stand als sonst irgend jemandem, den er kannte. Das hätte seinen Grund in der Tatsache haben können, daß sie beide Witwer waren; doch es war nicht so. Es hätte eigentlich so sein müssen, denn die Parallelen waren auffallend:

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