Die Überlebenden der Kerry Dancer
lassen Sie gefälligst Ihr blödes Gepäck. Machen Sie, daß Sie nach draußen kommen, so schnell wie möglich.« Vier der Soldaten humpelten rasch, von McKinnon zur Eile gedrängt, durch die Tür nach draußen. Der fünfte, ein blasser Junge von knapp zwanzig Jahren, machte keinerlei Anstalten, sich vom Stuhl zu erheben. Seine Augen waren unnatürlich geweitet, seine Lippen bewegten sich unablässig, und seine Hände lagen krampfhaft zusammengefaltet vor ihm auf dem Tisch. Nicolson beugte sich über ihn.
»Haben Sie gehört, was ich sagte?« fragte er behutsam.
»Er ist mein Kamerad.« Er zeigte, ohne Nicolson anzusehen, auf eine der Kojen hinter ihm. »Er ist mein bester Freund. Ich bleibe bei ihm.«
»Mein Gott«, murmelte Nicolson, »in dieser Situation noch heroische Gesten.« Er zeigte mit dem Kopf zur Tür und sagte laut: »Los, gehen Sie.«
Der Junge beschimpfte ihn und fluchte leise vor sich hin, unaufhörlich, brach dann aber ab, als jetzt ein dumpfes Dröhnen durch den Rumpf des Schiffes lief, das sich gleichzeitig mit einem heftigen Ruck noch weiter nach Backbordseite überneigte.
»Vermutlich das Schott hinter dem Maschinenraum, Sir«, sagte McKinnon ruhig, fast beiläufig.
»Ja«, sagte Nicolson, »und jetzt läuft das Schiff achtern voll.« Er verlor keine Zeit mehr, sondern beugte sich über den Soldaten, ergriff ihn mit der linken Hand am Hemd und riß ihn vom Stuhl hoch, erstarrte dann aber verblüfft, als die Krankenschwester mit einem Satz bei ihm war und seinen freien rechten Arm mit beiden Händen festhielt. Sie war groß, größer als er gedacht hatte, ihr Haar streifte sein Gesicht, und er roch einen schwachen Duft von Sandelholz. Was ihm aber am meisten und fast schreckhaft auffiel, waren ihre Augen – oder vielmehr ihr Auge, denn der Schein von McKinnons Taschenlampe beleuchtete nur die rechte Seite ihres Gesichts. Dieses Auge war von einer Farbe, wie er sie in dieser Intensität bisher nur einmal gesehen hatte: in seinem Spiegel. Ein helles, arktisches Blau, und eben jetzt sehr arktisch und feindlich.
»Nicht! Schlagen Sie ihn nicht – es geht auch anders.« Die Stimme war noch immer sanft und wohlklingend, doch der bisherige respektvolle Ton war einer gewissen Schärfe gewichen, die fast verächtlich war. »Das verstehen Sie nicht, er ist nicht – so ganz richtig.« Sie wandte sich von Nicolson ab und legte dem Jungen die Hand leicht auf die Schulter. »Kommen Sie, Alex. Sie müssen jetzt gehen. Ich werde mich um ihren Freund kümmern – Sie können sich darauf verlassen, das wissen Sie.«
Der Junge rückte unschlüssig hin und her und sah über die Schulter zu dem Mann hin, der auf der Koje hinter ihm lag. Das Mädchen nahm seine Hand, lächelte ihm zu und zog ihn sanft vom Stuhl hoch. Er brummte irgend etwas vor sich hin, zögerte noch einen Augenblick und ging dann mit unsicheren Schritten an Nicolson vorbei nach draußen.
»Gratuliere«, sagte Nicolson und deutete mit dem Kopf zu der offenen Tür hin. »Und jetzt Sie, Miss Drachmann.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie hörten, was ich ihm versprach – und Sie haben mich vorhin gebeten, bis zuletzt hierzubleiben.«
»Das war vorhin, nicht jetzt«, sagte Nicolson ungeduldig. »Wir haben jetzt keine Zeit mehr, uns mit Tragbahren abzugeben – nicht bei einem schlüpfrigen Deck, das eine Neigung von zwanzig Grad hat. Das werden Sie gewiß einsehen.«
Sie stand einen Augenblick unschlüssig, nickte dann wortlos, drehte sich um und langte nach irgend etwas in der Dunkelheit einer Koje hinter ihr.
»Los, los«, sagte Nicolson unfreundlich. »Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre kostbaren Habseligkeiten. Sie haben gehört, was ich dem Soldaten eben sagte.«
»Es sind nicht meine Habseligkeiten«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Sie drehte sich herum und sah auf das schlafende Kind in ihren Armen. »Aber bestimmt sehr kostbar für irgendeinen anderen.«
Nicolson starrte einen Augenblick auf das Kind und schüttelte dann leise den Kopf. »Nennen Sie mich wie Sie wollen, Miss Drachmann. Hatte ich glatt vergessen. Und das können Sie auch nennen wie Sie wollen – verbrecherische Unaufmerksamkeit dürfte fürs erste genügen.«
»Unser aller Leben ist in Ihrer Hand.« Der Ton ihrer Stimme war nicht mehr feindlich. »Sie können nicht an alles denken.«
Sie ging an ihm vorbei über das steil geneigte Deck, wobei sie sich mit der freien Hand gegen die Kojen stützte. Wieder strich der leise Duft von Sandelholz an
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