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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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Überanstrengung und Seekrankheit weiß erschienen. Die Kerry Dancer mußte seit dem zeitigen Nachmittag in den Wellen geschaukelt und endlose Stunden lang unablässig und bösartig geschlingert haben.
    »Wer hat hier das Kommando?« fragte Nicolson, und seine Stimme wurde von den eisernen Wänden des Logis als dumpfes Echo zurückgeworfen.
    »Ich denke, er da. Oder vielmehr, ich nehme an, daß er das denkt.« Die ältliche Dame, die neben Nicolson stand – klein und zierlich, sehr aufrecht, das silberne Haar unter dem freigebig dekorierten Strohhut in einem festen Knoten nach hinten genommen –, hatte in dem verblichenen Blau ihrer Augen noch immer das energische Feuer der Autorität. Diese Augen hatten außerdem einen Ausdruck heftiger Mißbilligung, als sie jetzt auf einen Mann zeigte, der vor einer halbgeleerten Whiskyflasche am Tisch hockte. »Aber er ist natürlich mal wieder betrunken.«
    »Betrunken, Madame? Habe ich recht gehört, daß Sie sagten, ich sei betrunken?« Hier war jedenfalls ein Mann, erkannte Nicolson, der nicht bleich und krank war: das Gesicht, der Hals, ja sogar die Ohren hatten die Farbe gebrannter Ziegel und bildeten einen dramatischen Kontrast zu dem schneeweißen Haar und den buschigen, weißen Brauen. »Sie besitzen die Frechheit, zu behaupten, ich – ich –« Er kam aufgeregt hoch, seine Hände zogen die Jacke seines zerknitterten, weißen Leinenanzuges straff. »Bei Gott, Madame, wenn Sie ein Mann wären –«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn Nicolson. »Sie würden sie mit der Reitpeitsche grün und blau schlagen. Halten Sie den Mund, und setzen Sie sich.« Er wandte sich wieder der Frau zu. »Wie ist Ihr Name, bitte?«
    »Miss Plenderleith. Constance Plenderleith.«
    »Das Schiff sinkt, Miss Plenderleith«, sagte Nicolson rasch. »Das Vorschiff sackt von Minute zu Minute tiefer. In etwa einer halben Stunde sitzen wir fest auf dem Felsen, und der Taifun kann jeden Augenblick wieder losbrechen.« Es waren jetzt zwei oder drei Taschenlampen an, und Nicolson sah sich in dem schweigenden Halbkreis von Gesichtern um. »Wir müssen uns beeilen. Die meisten von Ihnen sehen aus wie der Tod, und ich bin überzeugt, daß Sie sich auch so fühlen, aber wir müssen uns trotzdem beeilen. Wir sind mit einem Rettungsboot da, das an Backbordseite liegt, keine zehn Meter von hier. Miss Plenderleith, wie viele von Ihnen können nicht so weit laufen?«
    »Fragen Sie Miss Drachmann, sie ist die verantwortliche Krankenschwester.« Der völlig veränderte Ton von Miss Plenderleiths Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß Miss Drachmann ihre uneingeschränkte Hochachtung besaß.
    »Miss Drachmann?« fragte Nicolson erwartungsvoll.
    Hinten in der Ecke wandte sich ein Mädchen um und sah zu ihm her. Ihr Gesicht lag im Schatten. »Leider nur zwei, Sir.« Ihre Stimme, der man die Anstrengung anhörte, klang sanft, weich und musikalisch.
    »Leider, sagen Sie?«
    »Die andern sind alle heute abend gestorben«, sagte sie leise. »Fünf von den schweren Fällen, Sir. Sie waren sehr krank – und das Wetter war sehr schlimm.« Ihre Stimme war nicht ganz fest.
    »Fünf von den schweren Fällen«, wiederholte Nicolson. Er schüttelte langsam den Kopf.
    »Ja, Sir.« Sie legte den einen Arm um das Kind, das neben ihr auf einem Stuhl stand, während sie es mit der freien Hand fester in eine Wolldecke wickelte. »Und dieser Kleine hier ist halt sehr hungrig und sehr müde.« Sie versuchte sanft, seinen schmierigen Daumen aus seinem Mund zu entfernen, doch er widersetzte sich ihren Bemühungen und fuhr fort, Nicolson ernst und kritisch zu mustern.
    »Er wird satt werden und heute nacht gut schlafen«, versprach Nicolson. »Also, alle, die gehen können, gehen in das Boot. Zuerst die, die noch am besten bei Kräften sind – sie können dabei helfen, das Boot ruhig zu halten und die Verwundeten hinzuführen. Schwester, wieviel Mann mit Arm- oder Beinverletzungen, außer denen, die nicht gehen können?«
    »Fünf, Sir.«
    »Sie brauchen mich nicht ›Sir‹ zu nennen. Ihr fünf wartet, bis jemand im Boot ist, der euch beim Einsteigen helfen kann.« Er tippte dem Whiskytrinker auf die Schulter. »Sie gehen als erster.«
    »Ich?« Er war entrüstet. »Ich habe hier die Verantwortung, Sir – bin praktisch der Kapitän, und ein Kapitän geht immer als letzter –«
    »Sie gehen als erster«, wiederholte Nicolson geduldig.
    »Erzählen Sie ihm doch, wer Sie sind, Foster«, schlug Miss Plenderleith mit spitzer Stimme

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