Die Übermacht - 9
Clyntahn es bislang verabsäumt hatte, Allayn Maigwair über die Berichte dieses Agenten zu informieren.
»Wie stehen die Chancen, dass er sich etwas ausgiebiger mit dieser Sache befasst und dabei mehr herausfindet?«
»Davon würde ich abraten, Euer Exzellenz. Wir reden hier von Harysyn.«
Der Grunzlaut, den Clyntahn ausstieß, deutete Rayno als Zustimmung.
›Harysyn‹ war der Deckname, den sie einem der erschreckend wenigen Informanten im Alten Königreich Charis gegeben hatten. Rayno hatte unbedingt daran erinnern müssen, aber so war es nun einmal: Jeder Versuch, ein ausgedehntes Informantennetzwerk aufzubauen, war gescheitert – in so gut wie jeder Ecke dieses verwünschten Kaiserreichs! Manchmal war Clyntahn ob der Schwierigkeiten mit Charis schon versucht zu glauben, die Gegenseite hätte die Hilfe von Dämonen. Die wenigen Informanten, die die Inquisition hatte, waren daher unbeschreiblich wertvoll. Sie alle trugen Decknamen. Clyntahn bestand darauf, dass diese Decknamen selbst in seinen Gesprächen unter vier Augen mit Rayno verwendet wurden. Ja, der Großinquisitor achtete sogar bewusst darauf, die wahren Namen der Spione niemals zu erfahren. Was er nicht wusste, konnte er schließlich nicht preisgeben, nicht einmal unabsichtlich.
Clyntahn widerstrebte es, es zuzugeben: Aber Maigwair und dieser feige Narr Duchairn hatten Recht, was die Effektivität charisianischer Spione anging. Der Großinquisitor glaubte zwar nicht, dass sie sich sogar auf dem Gelände des Tempels selbst aufhielten. Aber ansonsten mussten sie überall in den Tempel-Landen tätig sein – und dabei sehr effiziente Arbeit leisten. Das war die einzige Erklärung, wie so viele Bischöfe – oder zumindest deren Angehörige – der Inquisition hatten entkommen können, als Wylsynns kleine Gruppe aufgeflogen war. Nur so erklärte sich auch, wie Charis hatte erfahren können, dass Kornylys Harpahrs Flotte in Wahrheit nach Osten aufbräche, nicht nach Westen. Da dem so war, wollte Clyntahn keinesfalls das Risiko eingehen, dass jemand die wahren Identitäten dieser kostbaren Informationsquellen erführe.
Die Verhaftung von Agenten, die Informanten hatten rekrutieren wollen, (die Verhaftung erfolgte meist sogar innerhalb kürzester Zeit!) hatte die Inquisition zum Umdenken gezwungen: Den wenigen verbliebenen Spionen war strikt untersagt worden, weitere Agenten zu rekrutieren. Das hatte selbstredend Folgen für den Informationsfluss. Zum einen nämlich hieß es, dass jeder Einzelne immer nur das berichten konnte, was er oder sie tatsächlich persönlich gesehen oder gehört hatte. Zum anderen bedeutete es, dass jeder Agent über einen eigenen Kanal Kontakt mit dem Tempel halten musste. Das machte die Übermittlung von Berichten natürlich noch viel langsamer und beschwerlicher, als das angesichts der gewaltigen Entfernungen ohnehin schon der Fall gewesen wäre. So hinderlich die neuen Beschränkungen auch waren: Alles, was dafür sorgte, dass die wenigen verbliebenen Agenten von Wave Thunder unentdeckt blieben, war der Mühe wert.
Doch Harysyn war selbst unter dieser kleinen Hand voll wichtiger Mitarbeiter noch eine Besonderheit. Man hatte ihn noch nicht einmal erst nach Charis schaffen müssen; er war dort geboren. Als Tempelgetreuer, der entsetzt war ob der offenen Ketzerei in seinem Königreich, hatte er von sich aus Kontakt mit der Inquisition aufgenommen. Praktisch die gesamte Kommunikation fand nur in eine Richtung statt – von ihm zum Tempel. Er hatte seine eigenen Kommunikationskanäle eingerichtet, darunter einen, in dem sogar echte Kommunikation in beiden Richtungen möglich war, wenngleich quälend langsam und umständlich. Allerdings hatte er warnend darauf hingewiesen, dieser Kanal dürfe nur im äußersten Notfall genutzt werden. Er sei bereit, alles an Information bereitzustellen, was er erhaschen könne. Aber wenn der Inquisition daran gelegen sei, dass er nicht in der gleichen Weise enttarnt werde wie so viele andere Agenten und Tempelgetreue, werde sie sich mit dem zufrieden geben müssen, was er ihr von sich aus berichte. Die Kontaktaufnahme sei allein seine Aufgabe.
Das hatte Clyntahn und Rayno anfänglich sehr skeptisch gemacht. Schließlich wussten sie beide genau, wie viel Schaden ein Doppelagent anrichten konnte, der ihnen falsche Informationen zuspielte. Doch Harysyn erstattete nun schon seit beinahe drei Jahren Bericht – bislang war keine einzige falsche Information dabei gewesen. In dieser Zeit war er
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