Die Übermacht - 9
Zebediah verschworen und unerlaubten Handel getrieben zu haben. Allen Angeklagten wird vorgeworfen, den Aufstand und bewaffneten Widerstand gegen Prinz Daivyns Regentschaftsrat und gegen die Krone von Charis geplant zu haben. Weiterhin wird Graf Craggy Hill zur Last gelegt, seinen persönlichen Eid gebrochen und seine Autorität und Position als Mitglied des Regentschaftsrats dazu missbraucht zu haben, besagte Verschwörung zu unterstützen und seinen eigenen Einfluss in Corisande auszuweiten.«
Die Stille im Ballsaal schien nun regelrecht zu knistern. Barcor leckte sich nervös die Lippen. Craggy Hill warf Sharleyan einen finsteren Blick zu. Doch es war ein bedeutungsloser Blick, nur oberflächlich. Denn hinter seinen Augen lauerte etwas Dunklereres, nichts Herausforderndes.
»Und ist das Gericht zu einer Entscheidung gekommen?«
»Das ist es, Eure Majestät«, verkündete Ahrnahld. Er blätterte die erste Seite des Aktenordners um.
»Wahlys Hillkeeper, Graf Craggy Hill, wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden«, las er mit ruhiger, weit tragender Stimme vor. Dann blätterte er weiter.
»Bryahn Selkyr, Graf Deep Hollow, wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.«
Eine weitere Seite.
»Sahlahmn Traigair, Graf Storm Keep, wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.«
Wieder raschelte Papier.
»Sir Adulfo Lynkyn, Herzog Black Water, wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.
Rahzhyr Mairwyn, Baron Larchros, wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.
Sir Zher Sumyrs, Baron Barcor, wurde in vier von fünf Anklagepunkten für schuldig befunden, jedoch vom Vorwurf freigesprochen, sich persönlich mit Tohmys Symmyns verschworen und mit ihm unerlaubten Handel getrieben zu haben.«
Die letzte Seite wurde umgeblättert, dann schloss Kaiserin Sharleyans Schreiber den Aktenordner wieder.
»Die Urteile wurden unterzeichnet und besiegelt und von jedem der Geschworenen persönlich bezeugt, Eure Majestät.«
»Ich danke Ihnen«, gab Sharleyan zurück. Dann ließ sie sich wieder auf ihren Thron sinken, legte die Unterarme auf die Armlehnen und blickte auf die Männer herab, die vor ihr standen. Die Anspannung im Ballsaal schien noch weiter anzusteigen, da nun die Formalitäten erledigt waren. Sharleyan spürte, wie sich die Blicke der Zeugen auf sie richteten, gebündelt und konzentriert wie Sonnenstrahlen in einem Vergrößerungsglas. Das Bild stimmte nicht. Denn die Blicke trafen nicht auf ein Vergrößerungsglas, sondern auf einen Eiszapfen aus Cherayth.
Seltsam, wie kalt es mich lässt, wo ich doch glühend heiß Befriedigung empfinden sollte , dachte sie. Denn diese Männer wird das Schicksal ereilen, das sie verdient haben. Wirklich seltsam.
Aber es war nicht von Bedeutung, was Sharleyan empfand, sondern Bedeutung hatte nur, was sie tun musste.
»Sie alle haben die gegen Sie erhobenen Anklagen gehört«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Sie alle haben das Urteil vernommen, das gegen Sie ergangen ist. Sie alle hatten Gelegenheit, persönlich das erdrückende Beweismaterial zu begutachten, das gegen Sie vorliegt. Kein aufrechter Mann, keine aufrechte Frau auf dieser Welt könnte die Beweise für Ihre Verbrechen anfechten, und die Unterlagen zu Ihren Verfahren stehen jedermann zur Einsicht offen. Jeder Schritt des Gerichtsverfahrens, das Sie hierher geführt hat, stimmt mit dem Gesetz Ihres eigenen Fürstentums ebenso überein wie mit dem Gesetz von Charis. Wir werden keine Gnadengesuche und keinen Widerspruch gegen das Urteil der Geschworenen zulassen, die Ihre Fälle geprüft haben. Wenn Sie noch etwas vorzubringen wünschen, bevor das Strafmaß verkündet wird, ist dies der Zeitpunkt dafür.«
Craggy Hill und Storm Keep funkelten die Kaiserin nur finster an; Zorn loderte in ihren Augen. Deep Hollows Gesichtsmuskeln zuckten, obwohl Sharleyan nicht hätte benennen können, welche Emotionen dafür verantwortlich waren. Doch er presste die Lippen zusammen und schwieg. Der Blick der Kaiserin wanderte zu Black Water hinüber. Das Gesicht des Herzogs war vor Zorn rot angelaufen und vor Hass völlig verkrampft. Dennoch verspürte Sharleyan in seinem Fall einen Hauch von Mitleid. Der Tod seines Vaters bei der Schlacht im Darcos-Sund hatte ihn überhaupt erst dazu bewogen, sich an dieser Verschwörung zu beteiligen. Wenigstens Black Water hatte einen ehrlichen Grund für seinen Zorn und seine Empörung. Er war nicht von zynischem, kaltem Ehrgeiz getrieben –
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