Die Übermacht - 9
Momentan stand ihr Bug genau im Wind, also wies ihr Heck jetzt geradewegs auf das Ahna-Kap. Weil der Wind sich so rasch verändert hatte, kamen aber die Wellen immer noch von Südosten ein, nicht von Osten. Unablässig donnerten sie von achteraus gegen den Steuerbordbug und drückten das Schiff in den Sund. Sund hier, Ahna-Kap da: Das Schiff war gewaltigen Belastungen ausgesetzt ... es selbst und seine Anker. Die Backbord-Ankertrosse hatte sich daher bereits verabschiedet.
Der Grund da drüben muss noch felsiger sein, als ich gefürchtet hatte , ging es Yairley durch den Kopf. Wieder blickte er zu der Boje hinüber, die dort auf und ab tanzte, wo der Anker verloren gegangen war. Die Trosse war so gut wie neu. Sie war getrenst, zusätzlich mit einer Schmarting versehen und bekleedet, verdammt!
Trensen hieß, Werg in die sichtbaren Zwischenräume einer verdrillten Trosse einzuarbeiten. Eine Schmarting war ein gefetteter Jutestreifen, der um Tauwerk gewickelt wurde, um es zu konservieren. Dieses Mal hatte der Bootsführer obendrein die Trosse auf gesamter Länge mit engen Lagen von Ein-Zoll-Leinen umwickelt, es bekleedet. Das alles sollte eigentlich verhindern, dass ein Tau, gar eine dreifach geschützte Trosse, durchscheuerte ... Der Meeresgrund hier war offenkundig so rau und felsig, dass alle Schutzmaßnahmen vergeblich geblieben waren.
Glücklicherweise waren die Trossen zum Steuerbord-Buganker und dem Notanker, den Aplyn-Ahrmahk und Mahlyk ausgeworfen hatten, nicht gerissen – noch nicht. Doch beide Anker wurden jetzt in genau dem Maße über den Meeresgrund geschleift, wie Yairley das von Anfang an befürchtet hatte, und das immer schneller. Wenn es so weiterging, würde die Destiny innerhalb der nächsten zwei Stunden auflaufen.
Wenigstens hat die Flut schon fast ihren Höchststand , rief sich Yairley ins Gedächtnis zurück. Gut, zum Arbeiten wäre Ebbe besser. Aber wenigstens hat die Strömung jetzt nachgelassen, und wir haben so viel Wasser unter dem Kiel wie sonst nie.
Er schaute zu, wie die Besatzung der Schaluppe, einer nach dem anderen, an den Leinen emporkletterte und dann durch die Einstiegsluke im Schanzkleid kroch. Aplyn-Ahrmahk war natürlich der Letzte. Yairley spürte, wie sich wenigstens eine seiner Sorgen legte, als der junge Ensign endlich wieder an Bord war.
»Empfehlungen von Master Lathyk, Sir«, meldete Midshipman Zhones, der auf seinen Captain zugerannt kam, dann schlitternd vor ihm stehen blieb und salutierte. »Die Bootsmannschaft ist vollzählig an Bord. Sämtliche Vorbereitungen, Fahrt aufzunehmen, sind abgeschlossen.«
»Danke, Master Zhones«, erwiderte Yairley ernsthaft. »Dann sollten wir wohl jetzt lieber Segel setzen, meinen Sie nicht auch?«
»Öhm, ja, Sir. Ich meine: Aye, aye, Sir!«
»Sehr gut, Master Zhones«, lächelte Yairley. »Dann gehen Sie jetzt auf Ihre Station!«
»Aye, aye, Sir!«
Wieder salutierte der Midshipman und eilte davon. Angespannt ließ Yairley den Blick über sein Schiff und seine Mannschaft schweifen und ging in Gedanken noch einmal jedes Detail durch.
Die Bram- und Marsstengen waren niedergeholt. Doch die Marsrahen hatte man schon wieder nach oben gebracht, um an den Toppbeschlägen arbeiten zu können. Die Marssegel und die Vorsegel-Zeisinge waren entfernt und durch einfaches Fasergarn ersetzt, damit man die Segel augenblicklich setzen könnte. Fock-und Großrah waren nach backbord gebrasst, und die Spring, die Aplyn-Ahrmahk und Mahlyk an der Backbord-Ankertrosse verbändselt hatten, war durch eine der achterlichen Geschützpforten gezogen und fest vertäut. Nun waren aller Augen auf das Achterdeck gerichtet. Langsam und bedächtig nahm Yairley seinen Platz neben dem Steuerruder ein.
Dann erwiderte er ruhig den Blick der Männer, die ihn ansahen. Vielleicht fänden sie alle innerhalb der nächsten Minuten den Tod. Wenn das Schiff bei schwerer See auf felsigen Grund liefe, würde höchstwahrscheinlich der Rumpf zerbrechen. Die Chancen, dann noch an Land zu kommen, standen schlecht. Sehr schlecht. Aber als der Captain nun der Reihe nach die Matrosen anblickte, sah er keinerlei Zweifel. Anspannung, ja. Beunruhigung. Hier und da sogar Furcht, aber keine Zweifel. Sie vertrauten ihm ganz und gar. Yairley atmete tief durch.
»Klar an den Trossen!«
Tymythy Kwayle stand bei den Ankerbetings, genau dort, wo die Trosse des Notankers sie kreuzte. In der Hand hielt er eine große, schimmernde Axt. Bootsmann Symmyns persönlich stand an der
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