Die Übermacht - 9
Steuerbordtrosse, ebenfalls eine Axt zum Schlag bereit. Sie warteten nur auf den Befehl, die Trossen zu kappen. Wenn alles nach Plan liefe, würde in dem Moment, in dem diese beiden Ankertrossen durchtrennt waren, die mit dem Backbordanker vertäute Spring zur neuen Ankertrosse werden. Und die Spring sollte dann das Heck der Destiny in den Wind drehen, nicht mehr den Bug, und damit Fahrt ermöglichen. Da die Rahen bereits gebrasst waren, sollte es auch möglich sein, die Spring zu kappen, sobald der Wind zwei Strich mehr von vorn käme. Dann würde die Destiny dicht am Wind auf Backbordbug liegen und gerade eben noch einen Südsüdost-Kurs anlegen können. Dem Plan gemäß würde das Schiff diesen Kurs so lange halten, bis es auf dem gleichen Wege aus dem Schraper-Sund heraus wäre, auf dem es hineingeraten war. Dafür aber durfte sich der Wind nicht weiter drehen. Sollte der Wind aber weiterdrehen, könnte Yairley Nordkurs anlegen lassen. Sollte der Wind natürlich nach Westen drehte ...
Jetzt hör schon auf damit! , herrschte er sich selbst geistesabwesend an. Der Wind legt es ja nicht eigens darauf an, uns alle umzubringen, Dunkyn, das weißt du doch selbst!
»Klar zum Segel setzen! Toppsgasten in die Wanten!«
Die Toppsgasten klommen empor, und der Captain ließ ihnen genug Zeit, ihre Positionen einzunehmen. Dann ...
»An die Falle und Schoten! An die Brassen!«
Alles war bereit. Yairley straffte die Schultern.
»Trossen kappen!«
Die Äxte blitzten auf. Es war mehr als ein Schlag erforderlich, um eine Trosse von sechs Zoll Durchmesser zu durchtrennen. Doch Kwayle und Symmyns waren beide sehr kräftig und wussten nur zu gut, was hier auf dem Spiel stand. Jeder von ihnen benötigte nur zwei, drei Hiebe, dann peitschten fast gleichzeitig beide Trossen wie zornige Schlangen aus den Klüsen.
Sofort fiel die Destiny vom Wind ab, krängte nach Steuerbord, als ihr Heck nach Backbord schwenkte. Es funktionierte, und ...
Da riss die Spring.
Yairley fühlte, wie das ganze Schiff erzitterte, als die Trosse riss. Die Wellen, die gegen den Rumpf donnerten, kannten keine Gnade. Da die Destiny sich nicht weit genug gedreht hatte, rissen die Wellen sie mit sich, trieben sie geradewegs auf den felsigen Strand zu, wo sie zerschellen würde. Einen winzigen Moment lang schien Yairleys Verstand wie eingefroren. Er spürte, wie das Schiff rollte und stampfte und mit dem Heck voraus auf seinen Untergang zuhielt. Yairley wusste, dass er nichts dagegen unternehmen konnte.
Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da hörte er jemanden neue Befehle ausgeben – mit ungeheuerlich ruhiger Stimme. Mit bemerkenswerter Ähnlichkeit zu seiner eigenen Stimme.
»Lass fallen Vormarssegel und Focksegel! Marsstengestagsegel setzen!«
Die Besatzung, die ebenso wie ihr Captain erkannt hatte, dass ihr Schiff dem Untergang geweiht war, zögerte keinen Moment. Die Disziplin der Imperial Charisian Navy war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Alles, was sie während ihrer Lehrzeit und während des gnadenlosen Drills gelernt hatten, war sofort da. Sie gehorchten augenblicklich, das Vormars- und das Focksegel fielen herab, das Marsstengestagsegel stieg auf, flatterte und knatterte im Wind.
»Die Schoten vorholen! Luv brassen vorholen! Back die Mars- und Großsegel!«
Erst später begriff Yairley, dass das der kritische Moment gewesen war. Die ganze Mannschaft hatte erwartet, dass er befehlen würde, an die Brassen in Lee zu gehen und die Rahen so zu trimmen, dass die Segel dann, die Drehbewegung des Schiffes mit eingerechnet, den Wind aufnähmen. Genau darauf hatten sie sich konzentriert. Doch nun ließ Yairley die Segel backholen; er trimmte sie so, dass sie den Wind von vorn nahmen. Jedes Zögern, jede Verwirrung angesichts dieser unerwarteten Änderung der Befehle wäre tödlich gewesen. Die Mannschaft der Destiny zögerte nicht.
Die Rahen schwenkten herum; die Segel wurden gegen den Mast gedrückt. Die Destiny bewegte sich wieder durch die Wellen – nicht vorwärts, sondern achteraus. Und der Druck, der plötzlich auf den Segeln lastete, ließ das Schiff weiter nach Steuerbord herumschwenken.
Die Krängung der Destiny ließ sich für dieses Wendemanöver nutzen, auch wenn das Schiff dabei langsam und schwerfällig war. Die Segel blähten sich, knatterten im Wind, Gischt überall; die Schlingerbewegung ließ das Deck beben. Wie trunken torkelte das Schiff hin und her. Immer noch trieb es den Klippen entgegen, bewegte sich
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