Die Übermacht - 9
gar nicht gewesen sein«, erwiderte Zhones mit schwacher Stimme. »Ist gar nicht möglich! Schließlich lebst du noch!«
Die anderen Midshipmen lachten mit der fröhlichen Herzlosigkeit der Jugend. Doch einer von ihnen gab Zhones einen tröstenden Klaps auf die Schulter.
»Mach dir keine Sorgen, Ahrlee! Man sagt immer, wenn erst einmal die Mandeln raus sind, wird’s einfacher.«
»Mistkerl!«, versetzte Zhones und verzog die Lippen zu einem etwas angestrengten Grinsen.
»Hör einfach nicht auf ihn, Ahrlee!«, empfahl ihm Aplyn-Ahrmahk. »Außerdem geht es nicht um die Mandeln, sondern um die Zehennägel. Wenn die erst mal hochgekommen sind, dann wird es wirklich einfacher!«
Darüber musste selbst Zhones lachen. Aplyn-Ahrmahk lächelte und schob dem jüngeren Midshipman seine Tasse mit heißer Schokolade hinüber.
An Bord eines Schiffes war heiße Schokolade noch schwieriger zu bekommen als an Land – und teurer war sie auch. Mit dem Taschengeld, das ihm sein Stiefvater zugestand, hätte sich Aplyn-Ahrmahk problemlos einen eigenen Vorrat an Bord bringen können, um das herrliche Getränk jeden Tag zu genießen. Glücklicherweise besaß er genug gesunden Menschenverstand, auf dergleichen zu verzichten. Er entstammte einer hinreichend bescheidenen Familie, um genau zu wissen, wie seine Kameraden es aufgenommen hätten, wenn er jetzt mit seinem neuerworbenen Wohlstand protzen würde. Also hatte er das Geld lieber darauf verwendet, einen Vorrat für die gesamte Messe anzulegen. Doch mittlerweile war die Destiny so lange vom Heimathafen entfernt, dass der Vorrat allmählich zur Neige ging. Der Kochsmaat, der Dienst in der Midshipmen-Messe tat, verteilte den heißen Kakao nur noch in sehr karger Menge und zu den üblichen Mahlzeiten. Bei der Charisian Navy nämlich war gute Mannschaftsverpflegung Tradition. Wann immer möglich gab es warme Mahlzeiten – vor allem nach einem solchen Tag und einer solchen Nacht, wie die Destiny sie gerade hinter sich gebracht hatte. Obwohl Saylkyrk im Augenblick nicht gerade allzu viel Appetit auf seinen Eintopf hatte, war das Gericht doch durchaus schmackhaft (wenngleich ein wenig arg fettig), und ihr Steward hatte Kakao für alle gemacht. Außerdem hatte er irgendwoher sogar frisches Brot gezaubert. Dabei hatte er zwar das letzte Mehl verbraucht, aber das Endergebnis war das allemal wert.
Bedauerlicherweise würde der arme Zhones den Eintopf wohl kaum bei sich behalten. So hatte er sich auf das kostbare Brot beschränkt, hatte jeden einzelnen Bissen genüsslich gekaut und dann mit der süßen, starken Schokolade hinuntergespült. Nun hob er den Kopf, als Aplyn-Ahrmahk ihm seinen Becher zuschob.
»Ich ...«, setzte er an, doch Aplyn-Ahrmahk schüttelte den Kopf.
»Sieh es als Tauschgeschäft!«, sagte er fröhlich, streckte die Hand nach Zhones’ Eintopf aus, den der arme Kerl nicht angerührt hatte, und zog ihn zu sich. »Wie Trahvys schon sagt: Ich habe einen Magen wie ein Pferd. Du nicht. Außerdem wird dir der Zucker gut tun.«
Einen Moment lang blickte Zhones den Ensign nur schweigend an, dann nickte er.
»Danke«, sagte er leise.
Aplyn-Ahrmahk tat den Dank mit einer Handbewegung ab und schaufelte sich einen weiteren Löffel Eintopf in den Mund. Der schmeckte wirklich gut, und ...
»Alle Mann an Deck!«, erscholl der Ruf von oben. »Alle Mann an Deck!«
Aplyn-Ahrmahk ließ den Löffel fallen. Bevor der Löffel im Eintopf versank, war der Ensign schon die halbe Leiter zum Oberdeck hinauf.
Sir Dunkyn Yairley musste jegliche Selbstbeherrschung aufwenden, die er sich nach fünfunddreißig Jahren auf See angeeignet hatte, um nicht lautstark zu fluchen. Wieder ging ihm durch den Kopf, was er zuvor über das behelfsmäßige neue Ruder gedacht hatte.
Wahrscheinlich sollte ich mich darüber freuen, dass wir immer noch zweihundert Schritt vom Ufer entfernt sind , dachte er. Das lässt uns ein bisschen mehr Spielraum ... Hoffen wir, die Spiere ist lang genug. Dann geraten die Fässer ja vielleicht nicht unter den Rumpf. Tja, so könnte es funktionieren! Oder auch nicht, und dann ...
Er schaute zu, wie die Besatzung der Destiny in disziplinierter Hast ihre höchst ungewöhnlichen Vorbereitungen abschloss, und hoffte inständig, dass ihnen genug Zeit bliebe.
Natürlich bleibt genug Zeit, Dunkyn! Du hast wirklich ein bemerkenswertes Talent, Dinge zu finden, um die du dir Sorgen machen kannst, was? Innerlich schüttelte er den Kopf, blieb äußerlich jedoch reglos stehen, die
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