Die Übermacht - 9
Mittlerweile habe ich selbst erlebt, wie sehr Ihre Vorstellungskraft unter solchen Umständen ... ins Stocken gerät. Dennoch bin ich überzeugt, Sie werden sich tapfer schlagen!«
Pruait gluckste leise in sich hinein. Sahlavahn hingegen brach in schallendes Gelächter aus. Mahndrayn erwiderte das Lächeln des High Admirals.
»Ich werde mein Bestes geben, Sir«, sagte er.
»Das weiß ich, Commander.« Rücklings lehnte sich Rock Point gegen die Heckreling, verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Also gut, dann legen Sie mal los!«
.VI.
Palast des Erzbischofs, Tellesberg,
Altes Königreich Charis
Der Winter in Tellesberg unterscheidet sich doch deutlich von dem Winter in den Tempel-Landen , ging es Paityr Wylsynn durch den Kopf. Dankbar trat er in den schattigen Säulenvorbau von Erzbischof Maikels Palast. Die Gefahr zu erfrieren bestand hier nicht. Eigentlich aber war das, was Paityr bei seinem Eintreffen in Charis am meisten zu schaffen gemacht hatte, das gleißende, unablässige Sonnenlicht gewesen – auch wenn es hier im Winter zumindest ein wenig kühler wurde als im Sommer. Den Einheimischen machten die Temperaturen anscheinend nichts aus, und Wylsynn hatte bald schon die exotische Landschaft, die ungewohnten Geräusche, die tropischen Früchte, die leuchtend bunte Blumenpracht und die beinahe ebenso bunten Wyvern und Vögel zu genießen gelernt. Mittlerweile hatte er sich soweit akklimatisiert, dass ihm die Vorstellung, wieder in die Schnee- und Eislandschaft der Tempel-Lande zurückzukehren, nicht allzu verlockend erschien.
Vor allem derzeit , dachte er grimmig, vor allem derzeit!
»Guten Morgen, Pater«, begrüßte ihn der Kommandeur in der weiß-orangefarbenen Uniform der erzbischöflichen Garde.
»Guten Morgen, Sergeant«, erwiderte Paityr, und die anderen Gardisten nickten ihm wortlos zu. Das war nicht mangelnde Wachsamkeit (hätte die Garde je an Selbstüberschätzung gelitten, wäre damit spätestens nach dem Attentat auf Maikel Staynair in seiner eigenen Kathedrale Schluss gewesen). Pater Paityr aber war, so war es nun einmal, ein sehr bekanntes Gesicht im Palast.
Nun, leicht zu verwechseln bin ich ja nun nicht! , dachte er ironisch. Sein Blick wanderte auf den purpurnen Ärmel seiner Soutane hinab, auf dem das Abzeichen von Schwert und Flamme prangte. Im ganzen Alten Königreich Charis gibt es jetzt sicher nicht mehr als ein halbes Dutzend Schueleriten – und die meisten Tempelgetreuen, die sich so gut verstecken wie nur irgend möglich. Allerdings würde ich genauso auffallen, wenn ich die Gewänder eines Bédardisten oder eines Pasqualaten trüge!
»Willkommen, Pater Paityr! Willkommen!«
Dass sich im Palast zahllose, stets übertrieben feierlich auftretende, ach-so-wichtige Diener herumtrieben, gehörte längst der Vergangenheit an. Das hatte es unter den anderen Erzbischöfen gegeben, aber nicht unter Maikel Staynair. Natürlich war der Palast groß genug, um eine erkleckliche Anzahl Diener zu rechtfertigen. Erzbischof Maikel aber zog eine Umgebung vor, in der es weniger hochnäsig zuging. Alys Vraidahn war schon seit mehr als dreißig Jahren Maikels Haushälterin. Sie war zusammen mit ihm auch in seine neue Residenz umgezogen – und dort hatte sie die gesamte Dienerschaft innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit einer Radikalkur unterzogen. Mistress Vraidahn war eine energische Person, die stets sachlich war und sich nichts gefallen ließ. Sie war ebenso warmherzig wie scharfsinnig und hatte Paityr Wylsynn adoptiert: ein weiterer unter den zahlreichen Sozusagen-Söhnen und -Töchtern des Erzbischofs. Nun knickste sie vor ihm und lachte dann, als er sich zu ihr herabbeugte und ihr einen Kuss auf die Wange gab.
»Also bitte!«, schalt sie und versetzte seiner Schulter einen sanften Klaps. »Ihr solltet bei einer alten Frau nicht Neigungen wecken, die sie bei einem so jungen, ungebundenen Burschen wie Euch schlichtweg nicht empfinden sollte!«
»Ach, wenn ich das doch nur könnte!«, seufzte er. Bekümmert schüttelte er den Kopf. »Ich bin nicht sonderlich gut darin, meine Socken zu stopfen«, gestand er.
»Wollt Ihr mir etwa sagen, dass Meister Ahlwail, dieser faule Taugenichts, das nicht kann?«, verlangte sie skeptisch zu erfahren.
»Ach, doch, wahrscheinlich schon. Leidlich«, erwiderte der Intendant und verleumdete so aufs Schändlichste seinen Kammerdiener, ließ den Kopf hängen und blickte so mitleiderregend drein wie irgend möglich.
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