Die Übermacht - 9
Intendant bist. Als ich ihm gesagt habe, dass du ihn sprechen möchtest, hat ihm das wirklich den Tag versüßt.«
»Ja, sicher.« Paityr verdrehte die Augen. Ushyr jedoch schüttelte den Kopf.
»Ich meine das ernst, Paityr. Als ich ihm gesagt habe, dass du um einen Termin bittest, hat er mich angestrahlt.«
Mit einer Handbewegung tat Paityr das ab. Trotzdem freute er sich. In vielerlei Hinsicht sah Paityr in Erzbischof Maikel noch mehr als früher eine Art zweiten Vater, jetzt, wo sein leiblicher Vater tot war. Das war einfach so, ob der Erzbischof sich dessen bewusst war oder nicht.
Und auch das ist einer der Gründe für diesen Besuch , sinnierte Paityr.
»Also, dann komm!«, forderte Ushyr ihn auf und bedeutete Paityr mit einer Handbewegung, ihn zum Arbeitszimmer des Erzbischofs zu folgen.
»Paityr, wie schön, Sie zu sehen!«
Hinter seinem Schreibtisch erhob sich Maikel Staynair. Er lächelte über das ganze Gesicht und streckte die Hand aus. Paityr verneigte sich, um den Ring an Staynairs Hand zu küssen, das Zeichen der erzbischöflichen Würde. Dann richtete er sich wieder auf und schob beide Hände in die Ärmel seiner Soutane.
»Ich danke Euch, Eure Eminenz. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Ihr mich so kurzfristig empfangt.«
»Unfug!« Staynair wedelte mit der Hand, als wolle er ein Insekt verscheuchen. »Zunächst einmal sind Sie mein Intendant. Das bedeutet, ich sollte schlichtweg immer Zeit für Sie haben.« Er grinste und deutete auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. »Und zweitens sind Sie ein lebhafter junger Bursche, der normalerweise immer etwas vorzubringen hat, was anzuhören sich lohnt – im Gegensatz zu nur allzu vielen anderen Leuten, die regelmäßig dieses Arbeitszimmer aufsuchen.«
»Ich bemühe mich nach Kräften, Euch nicht zu langweilen, Eure Eminenz«, meinte Paityr und nahm lächelnd in dem ihm angewiesenen Sessel Platz.
»Das weiß ich, und eigentlich sollte ich mich auch gar nicht über die anderen beschweren.« Auch Staynair ließ sich wieder in seinen Sessel sinken und zuckte mit den Schultern. »Die meisten können ja gar nichts dafür, und zumindest einige haben ja auch wirklich einen guten Grund, hier vorzusprechen. Glücklicherweise werde ich allmählich besser darin, diejenigen, für die das nicht gilt, gleich an den armen Bryahn zu verweisen.«
Der Erzbischof lehnte sich in seinem Drehsessel zurück, verschränkte die Finger vor der Brust und neigte fragend den Kopf zur Seite.
»Wie geht es Ihrer Mutter und dem Rest Ihrer Familie?«, erkundigte er sich.
»Gut, Eure Eminenz. Oder zumindest so gut, wie das unter den Umständen eben möglich ist.« Auch Paityr deutete ein Schulterzucken an. »Wir sind Gott, Madame Ahnzhelyk und Seijin Merlins Freunden zutiefst dankbar, dass so viele von uns aus Clyntahns Würgegriff haben befreit werden können. Aber andererseits betont das natürlich um so mehr, was in den Tempel-Landen geschehen ist. Und es ist wahrscheinlich ein wenig schwierig für meine Familie – für uns alle –, sich nicht schuldig zu fühlen, gerade weil sie entkommen konnten, andere aber nicht.«
»Das ist völlig verständlich.« Staynair nickte. »Das liegt in der Natur des Menschen. Verständlich, aber irrational. Dessen sind Sie sich doch gewiss auch bewusst.«
»Oh ja, natürlich. Für Lysbet und die anderen gilt das ebenfalls. Aber wie Ihr schon sagt: Eine solche Reaktion liegt in der Natur des Menschen, Eure Eminenz. Es wird leider noch eine ganze Weile dauern, bis sie es schaffen dürften, darüber hinwegzukommen.«
»Wieder verständlich. Aber bitte richten Sie Madame Wylsynn aus, dass ich stets zu ihrer Verfügung stehe, sollte sie etwas benötigen.«
»Ich danke Euch, Eure Eminenz.« Wieder lächelte Paityr voller Dankbarkeit. Er wusste genau, dass der Erzbischof dieses Angebot nicht aus Gewohnheit, sondern in vollem Ernst ausgesprochen hatte. Auch hier war er anders als so viele andere Erzbischöfe.
»Gern geschehen«, erwiderte Staynair. »Andererseits wird das wohl kaum der Grund dafür sein, dass Sie mich heute sprechen wollten, oder?«
»Nein«, gestand Paityr. Seine grauen Augen verdunkelten sich. »Nein, wirklich nicht, Eure Eminenz. Ich komme wegen einer spirituellen Frage zu Euch.«
»Wegen einer spirituellen Frage? Worum geht es? Oder vielleicht sollte ich lieber fragen: Um wen geht es?«
»Es geht um mich, Eure Eminenz.« Der Pater atmete tief durch. »Ich fürchte, meine Seele ist nicht so sorgenfrei, wie sie das
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