Die Übermacht - 9
»Aber ein guter Koch ist er nicht«, setzte er hinzu und brachte sogar das Kunststück fertig, seine Unterlippe zittern zu lassen.
»Das kommt davon, wenn man aus dem Ausland kommt!«, gab Alys zurück. Ihre Augen funkelten. »Er hat es ja kaum geschafft, dafür zu sorgen, dass Ihr ein bisschen Fleisch auf die Rippen bekommt!« Paityr schniefte herzzerreißend und mühte sich nach Kräften, genauso ausgezehrt zu wirken, wie er damals, während seiner Zeit im Seminar, tatsächlich gewesen war. Mistress Alys schüttelte den Kopf. »Na, also gut. Also gut! Kommt bei mir in der Küche vorbei, bevor Ihr wieder geht. Ich lege Euch etwas zurecht. Das könnt Ihr dann in Eurer Speisekammer verstauen.«
»Seien Sie gesegnet, Mistress Alys!«, meinte Paityr inbrünstig, und wieder lachte die Haushälterin des Bischofs. Dann blickte sie sich um und erspähte einen der Diener.
»Hallo, Zhaksyn! Lauf los und sag Pater Bryahn, Pater Paityr ist hier, um Seine Eminenz zu sprechen!«
Ein Verhalten, das noch weniger dem allgemein anerkannten Protokoll bezüglich des Umgangs miteinander in einer erzbischöflichen Residenz entsprach, ließe sich kaum ersinnen. Natürlich galt Gleiches auch für den betreffenden Diener. Der Bursche konnte allerhöchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein, sein fusseliger Bart (der dringend gestutzt werden müsste) hatte das Flaum-Stadium kaum hinter sich. Als die Haushälterin ihn beim Namen rief, ruckte sein Kopf empor wie bei einem aufgeschreckten Zinkenbock.
»Jawohl, Mistress Vraidahn!«, stieß er hervor und verschwand im Laufschritt.
Es entging Paityr nicht, dass der junge Bursche ihn vorher mit einem sogar tief erschrockenen Blick bedacht hatte. Und das lag gewiss nicht nur an seiner Schueleriten-Soutane.
Paityr hatte es schon immer belustigt, wie man auf dem Festland üblicherweise über das Provinzlertum auf den ›abgelegenen Inseln‹ sprach – so nannten die Festlandler die Reiche Charis, Chisholm und Corisande. Tarots Nähe zum Festland (das nach Paityrs Ansicht tatsächlich das am wenigsten weltbürgerliche dieser Reiche war) ersparte ihm diese abschätzige Behandlung. Aber der Tarot-Kanal war immer noch mehr als dreihundert Meilen breit. Es war ein gängiger Witz auf dem Festland, gute Küche und Kultur müssten beim Versuch, den Kanal zu durchschwimmen, wohl ertrunken sein.
Das Ganze erschien Paityr vor allem deswegen so amüsant, weil die Charisianer in vielerlei Hinsicht ungleich weltbürgerlicher und weltgewandter waren als die überwiegende Mehrheit der Safeholdianer ... praktisch jeden Festlandler eingeschlossen, den Paityr bislang kennen gelernt hatte. Die allgegenwärtige Charisianische Handelsmarine sorgte dafür, dass es nur wenig gab, was der Charisianer an sich noch nicht gesehen hatte – und das bezog sich beileibe nicht nur auf charisianische Matrosen. Jeder Seereisende der ganzen Welt, gleich welcher Nation, gleich welchen Erscheinungsbilds – einschließlich der Harchongesen, so abgeschlossen das Kaiserreich Harchong sich auch gab – musste früher oder später durch Tellesberg kommen. Und trotzdem sah Paityr Wylsynn häufig genug Erstaunen in den Gesichtern der Charisianer, die ihm begegneten.
Im Laufe der Jahre, die er nun schon hier im Alten Königreich Charis seinen Dienst versah, war seine Haut gebräunt genug, als dass man ihn beinahe schon für einen eingeborenen Charisianer hätte halten können. Seine grauen Augen und das feuerrote Haar aber, das in all dem Sonnenlicht noch leuchtender geworden war, würden für alle Zeit seine Herkunft aus den Nordländern verraten. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sich Paityr darüber geärgert hatte. Hin und wieder hatte er sich auch einfach nur schmerzhaft fern der Heimat gefühlt und voller Heimweh an die Tempel-Lande und seinen Geburtsort zurückgedacht. Mittlerweile jedoch verspürte er keinerlei Heimweh mehr – und das hatte durchaus auch mit dem Grund für seinen Besuch hier zu tun.
»Paityr!« Mit raschen Schritten betrat Pater Bryahn Ushyr, Erzbischof Maikels Privatsekretär, die Eingangshalle und streckte dem Besucher die Hand entgegen. Die beiden waren beinahe gleichaltrig. Paityr lächelte, als er seinem Freund den Unterarm drückte.
»Danke, dass du mich so kurzfristig im Terminplan unterbringen konntest, Bryahn!«
»Gern geschehen! So schwer war das gar nicht.« Ushyr zuckte mit den Schultern. »Du stehst auf seiner Liste deutlich weiter oben als viele andere – und das nicht nur, weil du sein
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