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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Emsdeich nach Critzum zu fahren. Er wird es sich zur Gewohnheit machen müssen, Nebenwege zu benutzen, um den potentiellen Gefahren der plötzlich zurückschnellenden Zeit auszuweichen. Es mag noch eine unerträglich lange Frist dauern, bis diese Sekunde erreicht sein wird, aber sie nähert sich Atemzug um Atemzug.
    Hinter dem letzten Knick, den der Fluß macht, hält er auf Höhe des Hatzumer Sandes an. Direkt vor ihm steckt ein Tankschiff tief in der gelierten Ems. An der Flanke ist unterhalb und oberhalb des Gangbordes wie mit einem satten Pinsel gezogen eine perfekte Bugwelle drapiert. Das Abendlicht hat sich matt und warm auf die Tanks gelegt, die Leitungen und die Armaturen, der Binnenschiffer schaut konzentriert auf die Bugspitze, um in der engen Fahrrinne zwischen den Tonnen zu bleiben, und eine Möwe sitzt über ihm auf dem Dach des Steuerhauses, der Fahrtwind oder der Nordwest hat ihr Gefieder aufgeplustert, und der Blick aus dem schwarzen Knopfauge verliert sich in der Zeit.
    Vielleicht, denkt Fokko, bin ich wahnsinnig geworden. Oder ich bin nicht der einzige, der in der eingefrorenen Chronologie umhergespenstert. Wer weiß, wer alles sich mit mir in diesem zeitlichen Parallelkosmos aufhält. Vielleicht begegnet mir mein Lehrer Hamelmann auf der Hofstraße in Jemgum, vielleicht spielt Eva nur die bronzene Fischerwitwe, und das Kriterium des Unterschieds zwischen Erstarrung und dem synchronen Leben ist lediglich der Glaube an die Zauberkraft der Uhr.
    »Wer weiß?«
    Merreth findet er schließlich in Critzum. Ihr Rad lehnt hinter dem Haus, die Terrassentür ist geöffnet, und sie sitzt mit ihren Eltern am Wohnzimmertisch. Der Vater blättert just in einer Zeitung, seine Frau hat eine Hand an einer Teekanne und scheint gerade was gesagt zu haben, denn Merreth auf dem Sofa ist ihrer Mutter mit einem Lächeln zugewandt und will offenbar in der nächsten Sekunde eine Bemerkung machen. Dafür hat sich ihre linke Hand bereits geöffnet und ein wenig von der Tischplatte gehoben, derweil die rechte auf ihrem Bauch ruht, als gäbe es dort etwas zu schützen. So sind es wohl seine zukünftigen Schwiegereltern, die Fokko eine ganze Zeit lang betrachtet, nun mit anderen Augen. Der alte Winterboer mit der Ostfriesen-Zeitung auf dem Schoß, ehedem einer der Brenner in der Midlumer Ziegelei, durch dessen schwere Hände tonnenweise der fette Klei gegangen ist, bevor er zu Klinkern gebacken wurde, ihm steht eine unverwüstliche Gutmütigkeit in seinem grauen, kartoffelrunden Gesicht geschrieben, die Fokko in die Seele seiner Lieben fortgepflanzt weiß. Die Mutter, eine kleine Frau mit weißen, in einem Knoten gebundenen Haaren, die Finger krumm und dunkel von lebenslanger Gartenarbeit, ist eine feinsinnige Erscheinung, selbst die eingefrorene Geste, die ihre verklungenen Worte begleitet haben mag, zeugt von einer tief verinnerlichten Grazie und ihre Lippen umspielt ein Lächeln, das von der Schönheit ihrer Intelligenz und der Wärme ihres Humors zeugt, welche sie gewiß ihrer Tochter vererbt hat.
    »Moin«, sagt er, setzt sich neben Merreth auf das Sofa, gibt ihr einen Kuß auf die Wange und legt seine Hand über ihre auf dem Bauch. Ob sie ihren Eltern schon etwas gestanden hat? Er befühlt mit dem Finger die Teekanne. Sie ist warm. Oder wollte sie davon reden, als die Zeit plötzlich stehenblieb? Er muß unbedingt und schleunigst etwas essen, geht in die Küche, wo das Abendessen bereitsteht, Aufschnitt, Käse, von der Mutter eingelegte, köstlichste Gurken, er läßt aber alles wie es ist, holt sich nur Geschirr und Besteck, gießt sich eine Tasse Tee ein und macht sich die Brötchen mit Butter fertig.
    Während er ißt, betrachtet er Merreth. Sie trägt einen glücklichen Gesichtsausdruck. Als wäre sie verliebt, denkt er und überlegt, ob er hier in Critzum Quartier nehmen sollte, in ihrem alten Zimmer vielleicht, aber das wäre ihm am Ende nur fremd, irgend unecht, weil sie nach Pogum gehören, und nur allzu gern würde er seine Liebste dorthin verfrachten.
    »Es sind nur achtundzwanzig Tage, Merreth« sagt er still und schmiegt sich an sie. »Das ist nichts im Verhältnis zu der Ewigkeit, die wir uns nicht kannten, ehe ich dich traf.«
    Er stellt sich vor, was geschähe, wenn die Zeit eine unkalkulierbare Frist angehalten wäre, die Zauberuhr langsamer und langsamer ginge, weil sie unter Wasser liegt, weil der feine Modder in das Uhrwerk kriecht, und wenn Merreth dann irgendeines Tages wieder zu sich fände, säße

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