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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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untereinander im Zenit, als du die Uhr das erste Mal geöffnet hast?«
    »Ja.«
    »Man kann es nicht genau bestimmen«, sagt er und holt ein Geodreieck hervor, mit dem er die Senkrechte vom Zentrum der Uhr zum höchsten Punkt einzeichnet, dann die Linie vom Mittelpunkt zum ersten Zeichen der inneren Scheibe. Es entsteht ein äußerst spitzer Winkel. »Zwei Grad, allenfalls drei.«
    »Das bedeutet?«
    »Nichts. Ich weiß es nicht.« Er wirft das Geodreieck auf den Schreibtisch wie ein Kapitän sein Navigationsbesteck, nachdem er erkannt hat, daß er das Riff überhaupt nicht mehr verfehlen kann. »Wenn ich allerdings annehme, daß sich der innere Ring nicht bis in alle Ewigkeit dreht, sondern nur ein einziges Mal um sich selbst, wenn ich ferner annehme, daß die Uhr nur läuft, wenn der Zauber aktiv ist, also geöffnet, dann könnte ich ungefähr schätzen, wie lang die Periode der Zauberkraft sein wird.«
    »Wie das?«
    »Wie lange war die Uhr insgesamt offen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Denk nach, ungefähr!«
    Fokko dreht sich weg und nimmt die Finger zu Hilfe. »Das erste Mal in Dicks Tankstelle, aber nicht mehr als ein paar Minuten. Dann auf dem Gertrudenberg, da habe ich ja erst begriffen…« Es sind immer kurzfristige Experimente gewesen, in der Wohnung allerdings, als er Eva mit dem Siegelring ertappte, hat er sich Zeit gelassen, dann die Spielereien im Crocodile , viel mehr war nicht. »Vielleicht eine Stunde. Höchstens zwei.«
    Schwammheimers Lehrerzeigefinger stellt sich auf.
    »Der einfache Fall«, sagt er fröhlich. »Zwei Grad, zwei Stunden, sehr grob geschätzt, ergeben dreihundertsechzig Stunden. Das sind…«
    »Du hast noch etwas vorausgesetzt, Schwamm.«
    »…genau fünfzehn Tage. Was?«
    »Daß sie gleichmäßig läuft.«
    Schwammheimer winkt ab. »Kann sein, ist unerheblich, es ist sowieso nur eine unexakte Schätzung. Aber ich suche ja nach astronomischen Intervallen, da gibt es nicht viel: Tag und Nacht, die Mondphase, das Jahr, Ende.«
    »Zwei Wochen.«
    »Die Woche ist kein kosmisches Maß. Es gibt nur planetarische Drehungen: die Erde um sich selbst, der Mond um die Erde, die Erde um die Sonne. Der Kalender ist eine Idee des Menschen.«
    »Die Uhr wohl auch.«
    »Egal…« Schwammheimer macht eine ungeduldige Handbewegung, nimmt seine Brille ab und schaut sich den Computerausdruck aus nächster Nähe an. »Die Symbolik deutet auf das Planetensystem hin. Die Sonne steht im Zentrum. Die Zeichen erinnern an Sternbilder und was war ehedem auf dem Knopf in der Mitte?«
    »Der Mond.«
    »Na also. Ich wette, daß die Sache mit unserem freundlichen Trabanten zu tun hat. Und wenn ich mich nicht total täusche, ist das innere Maß dieser fabelhaften Uhr die Rotation des Mondes, eine Mondphase.«
    »Ein Monat.«
    »Ungefähr. Es gibt zwei Zeiten.«
    »Wie das?«
    »Es gibt relative Mondumlaufzeiten. Die von der Erde erfahrbare und die tatsächliche.«
    »Macht das einen Unterschied?«
    »Zwei Tage etwa, aber egal, wir wissen nichts. Wir können jedoch demnächst ein zweites Foto machen und unsere Hochrechnung verbessern.« Schwammheimer setzt seine Brille wieder auf und tritt ohne ein weiteres Wort an den Schreibtisch, zieht die Schublade auf und legt das Foto auf das Zahlenbuch. Dann geht er einen Bogen durch den Raum, tritt zögerlich an die Terassentür, schaut hinaus, als sprängen die Gedanken wie ein verrückt gewordenes Rudel Kaninchen durch den verschneiten Garten, und seine Hand setzt mit den Fingerspitzen Morsezeichen auf den Fensterrahmen.
    »Weiß du eigentlich, mein lieber Freund, was für ein Schatz das ist?«
    Er schaut sich um, und in seinen Augen steht sehr klar geschrieben, wie wenig er glaubt, daß Fokko eben dieses auch nur annähernd ahnt. Und deshalb beginnt er jetzt, es ihm ausführlich zu erklären, spricht leise von der Idee, mit Hilfe der Uhr die Wirklichkeit zu verlassen, eine Art Zeitfenster zu öffnen und sich von Zwischenzeit zu Zwischenzeit zu bewegen. Vielleicht gebe es ungezählte parallele Reiche wie in einem Haus mit zahllosen verborgenen Zimmern und Etagen, vielleicht sei es möglich, den inneren Ring aus dem Gehäuse zu nehmen, zu drehen und die Uhr rückwärts laufen zu lassen. Das wäre dann die Zeitmaschine, die einem göttliche Macht und ewige Jugend verleihe.
    »Wenn du die Zeit anhältst, sieht es wohl zuerst so aus, als wäre nichts weiter geschehen, als daß du dich als einziger in der erstarrten Welt bewegen kannst: frei und einsam. Aber wenn alles noch so

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